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Kein Friede den Toten

Kein Friede den Toten

Titel: Kein Friede den Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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möchte jetzt keine Fragen mehr beantworten, bis mein Anwalt hier ist.«
    Yates sah sie an. »Setzen Sie sich.«
    »Ich möchte, dass Sie jetzt gehen.«
    »Ich habe gesagt, Sie sollen sich setzen.«
    Sie sah Cal Dollinger wieder an. Er stand immer noch wie eine Statue da. Sein Blick war vollkommen leer. Olivia tat, was Yates von ihr verlangt hatte. Sie setzte sich.
    »Ich wollte so was sagen wie ›Sie haben sich hier aber hübsch eingerichtet und wollen doch bestimmt nicht, dass ich Ihnen das alles zerstöre‹«, fing Yates an. »Aber ich weiß nicht, ob das funktioniert hätte. Das Viertel ist ein Drecksloch. Ihr Haus ist eine Bruchbude und ihr Mann ein Exknacki, der wegen dreifachen Mordes gesucht wird.« Er lächelte ihr zu. »Man könnte meinen, Sie hätten das Beste aus Ihrem Neuanfang gemacht, Candi. Aber Sie haben mit beeindruckender Sicherheit genau das Gegenteil geschafft.«
    Er wollte sie absichtlich vor den Kopf stoßen. Das ließ Olivia sich nicht gefallen. »Ich möchte, dass Sie jetzt das Haus verlassen.«
    »Dann interessiert es Sie nicht, wer von Ihrem Geheimnis erfährt?«
    »Bitte gehen Sie jetzt.«
    »Ich könnte Sie festnehmen.«
    Sie entschloss sich, es drauf ankommen zu lassen. Olivia streckte ihm die Hände entgegen, so dass er ihr Handschellen anlegen konnte. Yates rührte sich nicht. Natürlich konnte er sie festnehmen. Sie kannte das Gesetz und seine Einschränkungen
nicht so genau, aber sie hatte auf jeden Fall eine Mordermittlung behindert – indem sie vorgab, das Opfer zu sein. Für einen Haftbefehl reichte das allemal.
    Aber Yates wollte sie gar nicht festnehmen.
    Clydes flehende Stimme: »Wo ist das Video?«
    Yates wollte etwas anderes. Etwas, für das Cassandra gestorben war. Etwas, für das Clyde Rangor gemordet hatte. Sie sah ihm ins Gesicht. Sein Blick war klar. Seine Hände krampften sich immer wieder zusammen und öffneten sich.
    Sie hielt die Arme immer noch ausgestreckt nebeneinander. Sie wartete noch einen Moment ab, dann ließ sie sie sinken. »Ich weiß nichts von irgendwelchen Videos«, sagte sie.
    Jetzt sah Yates sie fragend an. Er ließ sich Zeit. »Ich glaube Ihnen«, sagte er dann.
    Und aus irgendeinem Grund jagten ihr diese Worte mehr Angst ein als alles andere.
    »Kommen Sie bitte mit«, sagte Yates.
    »Wohin?«
    »Ich nehme Sie fest.«
    »Wie lauten die Anklagepunkte?«
    »In alphabetischer Reihenfolge?«
    »Ich will meinen Anwalt anrufen.«
    »Das können Sie vom Revier aus machen.«
    Sie wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte. Cal Dollinger machte einen Schritt auf sie zu. Als sie zurückwich, fragte er: »Soll ich Sie in Handschellen abführen?«
    Olivia blieb stehen. »Das ist nicht nötig.«
    Sie verließen das Haus. Yates ging voran. Dollinger blieb neben ihr. Olivia sah die Straße entlang. Die riesige braune Bierflasche ragte in den Himmel. Irgendwie tröstete sie dieser Anblick. Yates ging zügig weiter. Er schloss den Wagen auf, stieg ein und ließ ihn an. Er drehte sich zu Olivia um, und plötzlich traf es sie wie ein Schlag.

    Sie erkannte ihn.
    Namen vergisst man schnell, aber Gesichter prägt man sich ein Leben lang ein. Beim Tanzen hatte sie sich damit betäubt, dass sie sich die Gesichter genau angesehen hatte. Sie hatte die Mienen auf einer Skala von Langeweile bis Vergnügen eingeordnet und versucht sich zu erinnern, wie häufig diese Männer ihr schon beim Tanzen zugesehen hatten. Es war eine Art Gedächtnistraining gewesen, mit dem sie sich die Zeit vertrieben hatte.
    Adam Yates war in Clydes Club gewesen.
    Vielleicht hatte sie einen Moment gezögert, oder Cal Dollinger hatte mitgekriegt, was in ihr vorging. Sie wollte fliehen, einfach rennen, was ihre Beine hergaben, aber Dollinger packte sie mit festem Griff am Arm. Er drückte den Punkt über ihrem Ellbogen gerade so stark, dass er sich ihrer Aufmerksamkeit sicher sein konnte. Sie versuchte, den Arm wegzuziehen, aber sie hätte ebenso gut versuchen können, ihren Arm aus einem Betonklotz zu ziehen.
    Sie konnte sich nicht bewegen.
    Sie waren fast am Wagen angekommen. Cal beschleunigte seinen Schritt. Olivia sah hilfesuchend die Straße hinab. Ihr Blick blieb an Lawrence hängen. Er sprach an der Ecke mit einem Mann, den Olivia nicht kannte. Beide hielten die obligatorischen braunen Papiertüten in der Hand. Lawrence sah sie, hob eine Hand und winkte ihr zu.
    Olivia formte mit den Lippen die Worte: Hilf mir.
    In Lawrences Miene veränderte sich nichts. Er reagierte überhaupt nicht.

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