Kein ganzes Leben lang (German Edition)
Lächeln ergriff Annas Gesicht.
Sie drehte sich zu ihrer Großmutter und erwiderte mit einem Blick auf Laura: „Das ist kein Spiel.“
„Bis sie groß ist.“
„Musst du immer das letzte Wort haben?“
„Ja. Das war mir jahrzehntelang nicht vergönnt.“
Anna lachte. „Das letzte Wort hatte immer Heiner. Kaum zu glauben, dass er abends, wenn er nach Hause gekommen war, eine Stunde lang nicht angesprochen werden durfte.“
„Wofür ich dankbar war. Was hätte ich schon groß mit ihm besprechen sollen?“ Dann lachten sie, und Laura lachte mit.
Lucrezia lief rastlos in ihrem Schlafzimmer auf und ab. Sie ließ sich auf ihr weiß getünchtes Eisenbett fallen. Ihr Blick wanderte von den bunten Kissen, die gegen das aufwendig geschwungene Kopfteil lehnten, zu der Holzbalkendecke. Die innere Unruhe war unerträglich. Hastig stand sie wieder auf und blieb mit ihrem Armreif in dem Moskitonetz hängen, das über dem Bett hing. Ungeduldig riss sie sich los. Sie öffnete ihren Kleiderschrank und zog ein schwarzes Negligé und halterlose Strümpfe an. Im Radio sang Paolo Conte. Sie drehte die Musik lauter und zündete ein Räucherstäbchen an. Als sie sich im Standspiegel betrachtete, strich sie über die Spitze. Er war in seinem Hotelzimmer. Es würde eine Überraschung sein. Sie schminkte sich die Lippen rot und die Augen dunkel. Über das Negligé zog sie einen Trenchcoat. Sie sprühte sich verschwenderisch mit ihrem Parfum ein. Ein No-Name-Produkt, das sie in einem Duftladen im Naviglie vor Jahren entdeckt hatte. Sie schnappte sich ihre neue Handtasche und schloss die Wohnungstür hinter sich.
Christiano stand im Aufzug und drückte die Taste mit der Nummer fünf. Er musste einen Weg finden, Anna zu besänftigen. Ein Blick auf seinen Verband verriet ihm, dass dies nicht so einfach werden würde. Er verzehrte sich nach Laura. Warum hatte er nur diesen blöden Brief in seiner Aktentasche gelassen? Warum hatte er sich überhaupt auf Lucrezia eingelassen? Er kannte die Antwort. Sie hatte ihn von Anfang an gereizt. Monatelang hatte er sie gemieden, bis sie eines Tages in seinem Büro gestanden hatte.
„Ich möchte gerne mit Ihnen zusammenarbeiten. Sie sind der Beste. Von Ihnen will ich lernen.“ Sie hatte ihn offenherzig angelächelt. Er hatte sie auf einem seiner Projekte eingesetzt. Lucrezia hatte ihre Aufgabe mit Bravour gemeistert. Mit ihr zu arbeiten war eine Freude. Sie war stets gelassen, ohne unprofessionell zu sein. Ihr heiteres Wesen war ansteckend. Sie wäre die perfekte Mitarbeiterin gewesen. Es waren die zufälligen Gesten, die viel mehr versprachen. Wenn sie nachdachte, fuhr sie sich mit der Zunge über die vollen Lippen oder ließ ihre schwarzen Haarsträhnen durch ihre stets rot lackierten Fingernägel gleiten. Wenn sie neben ihm saß, strich ihm ihr Parfum um die Nase, benebelte seine Sinne. Ihre langen Röcke und hochgeschlossenen Blusen beflügelten seine Fantasie. Als sie eines Abends in seinem Büro stand und ihm die Argumente präsentierte, mit denen sie einen Vorwurf der Preisabsprache entkräften konnten, hatte er sich mitreißen lassen. Sie war aufgeregt gewesen, und als sie fertig war, hatten ihre Wangen geglüht. Erwartungsvoll hatte sie ihn angesehen. Er hatte sie geküsst.
Die Aufzugstür öffnete sich, und Christiano trat in den Korridor hinaus. In seinem Zimmer schenkte er sich einen Grappa ein. Anna war und blieb diejenige, mit der er zusammenleben wollte. Das Feuer zwischen ihm und Lucrezia würde letztlich erlöschen. Es klopfte an seiner Zimmertür. Er sah auf die Uhr. Wer konnte das sein?
„Ja bitte?“
„Zimmerservice, ich habe den Schlüssel vergessen.“
Er erkannte ihre Stimme sofort. Er hätte sie wegschicken sollen. Aber die Neugierde war zu groß.
Als Christiano die Tür öffnete, legte Lucrezia, ohne ein Wort zu sagen, die Arme um seinen Hals. Er befreite sich von ihren Armen und setzte an, etwas zu sagen.
„Nicht jetzt“, sagte sie und legte ihm den Finger auf die Lippen. Dann öffnete sie ihren schwarzen Trenchcoat.
„Es ist warm geworden“, sagte sie und lächelte.
Er schüttelte schmunzelnd den Kopf und zog sie zu sich heran.
Anna ging durch die Supermarktreihen, als sie eine SMS von Paul erhielt. Er brauchte eine Antwort bis zum Abend. Er teilte ihr auch Ort und Zeit der Besprechung mit. Sie fand in den Büros von Christianos Mandanten statt. Dort bestand keine Gefahr, dass jemand sie erkannte. Das Klingeln ihres Handys riss sie aus ihren
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