Kein ganzes Leben lang (German Edition)
Gedanken. Es war Christiano. Sie zögerte. Schließlich nahm sie ab.
„Guten Morgen. Interessiert dich gar nicht, ob ich verblutet bin?“, fuhr er sie an.
„Offensichtlich nicht“, bemerkte sie trocken.
„Das ist doch ...“ Christiano blieb die Luft weg. „So einfach kommst du nicht davon.“
„Oh doch. Jedem Richter würde es leidtun, dass ich nur deine Hand getroffen habe.“
„Was soll das denn heißen? Welcher Richter?“
„Der Scheidungsrichter.“ Anna erschrak über ihre eigenen Worte. So weit hatte sie nicht gehen wollen. Der Beutel fiel ihr aus der Hand. Die Pfirsiche kugelten über den Boden.
„Mist“, entfuhr es ihr. Sie ging in die Hocke und versuchte die Pfirsiche zusammenzusuchen.
„Anna, das ist doch nicht dein Ernst. Können wir nicht in Ruhe miteinander sprechen?“
„Ich habe von unseren Gesprächen bis auf Weiteres die Nase voll.“
„Und ich erst“, erwiderte er beleidigt und legte auf. Entschlossen pfefferte sie das Handy in ihre Tasche. Sie nahm eine Milch aus dem Regal und legte sie in das Netz unter dem Kinderwagen. Laura sah sie sehnsüchtig an und quengelte. Sie nahm sie auf den Arm.
„Was soll ich nur tun, Herzchen?“
Laura quietschte. Annas Herz füllte sich mit süßer Liebe. Sie gab ihr einen Kuss. Christianos seliger Blick, als er Laura im Arm gehalten hatte, kam ihr in den Sinn. Das Wort „Scheidung“ schwirrte ihr im Kopf herum. Konnte sie sich das vorstellen? Sie wusste es nicht. Sie befand sich im Niemandsland, dort, wo Enttäuschung und Hoffnung, Schmerz und Freude, Betrug und Verzeihung Hand in Hand gehen. Dort, wo man sich nicht fragt, was danach kommt. Sie brauchte Gewissheit, musste verstehen, ob Christiano es ernst meinte, ob es wirklich nur ein Ausrutscher gewesen war. Sie musste wissen, ob er sie noch liebte und respektierte. Und nicht nur das, sie musste wissen, ob sie sich selbst noch respektierte.
Entschlossen holte sie mit der freien Hand ihr Handy aus der Tasche. Sie schrieb Paul eine SMS, in der nur stand: „Ich mache es. A.“
Einen Augenblick zögerte sie. Hinterging sie nicht auch Paul, wenn sie ihm verschwieg, dass Christiano ihr Mann war? War die Wahrheit verschweigen nicht auch eine Lüge? Aber Pauls Angebot erschien ihr wie ein Wink des Schicksals, eine Hand, die ihr gereicht wurde. Wenn sie sie nicht ergriff, würde sie vielleicht nie wieder aufstehen.
Sie drückte die Sendetaste.
5. Kapitel
Christiano warf wütend den Hörer auf die Gabel.
„Verdammt!“, rief er laut. Dieser arrogante deutsche Anwalt wollte einen deutschen Wachhund auf sie hetzen. Er hasste es, bevormundet zu werden. Eine Frau, hatte er gesagt, na, der würde er es schon zeigen.
„Alles in Ordnung?“ Lucrezia war in sein Büro getreten, ohne dass er es gemerkt hatte.
„Kannst du nicht anklopfen?“, fuhr er sie grob an.
Sie lächelte unbeeindruckt. „Was ist los?“
Er erzählte ihr, was passiert war.
„Eine deutsche Anwältin, die in Mailand lebt. Wer kann das sein?“ Christiano schüttelte ratlos den Kopf. „Alle, die ich kenne, kommen nicht in Betracht.“
„Dann kann es niemand Besonderes sein“, räumte Lucrezia ein.
„Mir ist egal, wer es ist. Ich habe nur keine Lust, Zeit damit zu verlieren, jemanden in seine Schranken zu verweisen.“
„Pass auf dich auf.“ Helene sah Anna prüfend an.
Anna drückte Laura fest an sich. Es machte ihr Angst, dass Helene abreiste. Ihre Anwesenheit hatte ihr Sicherheit gegeben.
Helene strich ihr über das Haar.
„Auf der Rückreise schau ich noch einmal vorbei.“ Sie hob Annas Kopf und sah sie prüfend an.
„Mach keine Dummheiten.“
Anna nickte.
„Keine Messerstechereien mehr, Fräulein“, fügte Helene mit Nachdruck hinzu.
Anna verzog das Gesicht. Sie wollte nicht mehr daran denken. Vor dem Einschlafen hatte sie immer Christianos Blut auf den weißen Küchenfliesen vor Augen. Doch das war nicht das Beunruhigende. Das Beunruhigende war, dass sie dabei Genugtuung empfand.
Die Türschelle hallte schrill durch das Haus.
Sie zuckten zusammen.
„Das Taxi“, sagte Anna überflüssigerweise.
Helene griff nach ihrem Koffer.
Sie küsste Anna auf die Stirn und gab Laura einen Kuss auf die Wange.
Dann fiel die Tür ins Schloss. Die Leere breitete sich um Anna herum aus. Sie waren alleine.
Abends saß Anna auf der Couch und starrte in die Nacht. Sie hatte die Fenster geöffnet. Es war ein lauer Sommerabend. Bald würde es heiß werden. Laura schlief. Eine Traurigkeit befiel sie.
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