Kein ganzes Leben lang (German Edition)
Ende des Bettes. Sie war zu ihm herübergerobbt, unter die Decke gekrabbelt und hatte ihn umarmt. Sie wusste, wie armselig sie sich benahm. Das war der Augenblick, in dem ihr klar geworden war, dass sie das, was gerade erst begonnen hatte, beenden musste.
Ihr Handy piepte. Ein Blick verriet ihr, dass Anna ihr schon wieder eine Nachricht geschickt hatte. Ungelesen löschte sie die SMS. Sosehr sie sich nach Annas tröstender Umarmung sehnte, so wenig würde sie ihr helfen.
In einer Vitrine erhaschte sie einen Blick auf ihr Spiegelbild und blieb vor dem Geschäft stehen. Wer war sie eigentlich? Was wollte sie vom Leben? Was bis vor Kurzem glasklar vor ihr gelegen hatte, war jetzt im Dunst verschwunden. Sie bog in die kleine Gasse ein, in der der Duftladen lag, der ihr Parfum führte. In all der Aufregung war ihr entgangen, dass sich der Flakon dem Ende näherte. Noch heute Abend würde sie die Stellenanzeigen im Ausland durchgehen. Doch nur der Gedanke daran, weit weg von Christiano zu sein, schmerzte.
Gedankenverloren war sie am Ende der Gasse angekommen und befand sich auf einem kleinen Platz. Sie stutzte und drehte sich um. Sie musste an dem Laden vorbeigelaufen sein. Diesmal lief sie wachsam die Gasse zurück. Die Vitrine des Ladens war leer. Ein Schild informierte, dass der Laden geschlossen hatte. Sie rüttelte an der Klinke. Die Tür gab nicht nach. Das Parfum war ihr Markenzeichen, Teil ihrer Persönlichkeit.
Da konnte sie ja gleich ohne Schuhe auf die Straße gehen, dachte sie. Verzweiflung ergriff sie. Eilig kehrte sie in der nächsten Bar ein.
„Einen Grappa“, sagte sie atemlos.
Der Barkeeper schaute sie mit einem Blick auf die Uhr erstaunt an.
„Fragen Sie nicht, machen Sie mir einfach nur einen Grappa.“
Er nickte und stellte den Grappa vor sie.
Hastig schüttete sie das Glas runter. Der Alkohol breitete sich warm in ihrem Magen aus. Ihr Atem beruhigte sich. Erschöpft ließ sie sich auf einem Barhocker nieder. Ihr Blick wanderte ins Leere.
„Eine so schöne Frau sollte nicht traurig sein.“
Sie sah hoch. Der Barkeeper war ein Mann mittleren Alters. Sein Haar war weiß und fiel ihm in den Nacken. Seine väterlichen braunen Augen schauten ernst. Hatte Christiano sie jemals so besorgt angesehen? Hatte er sie jemals ausreichend angesehen, um festzustellen, ob sie glücklich war? Sie kannte die Antwort. Die Verzweiflung wich einer tiefen Traurigkeit.
Christiano war unrasiert, seine Augen waren müde, und sein Hemd hing aus der Hose.
„Du siehst schlecht aus“, stellte Anna mit Genugtuung fest.
„Ich dachte, du bist gekommen, um mir zu helfen“, erwiderte er bissig.
„Ist ja schon gut. Wo können wir arbeiten?“
„Hier entlang. Wir nehmen einen der Besprechungsräume.“ Er ging voran durch die dunklen, leeren Korridore.
In einem Besprechungsraum standen zwei Laptops. Der große Tisch war mit Aktenordnern beladen.
Anna sah Christiano fragend an.
„Alte Anmeldungen, die wir für Bellezza gemacht haben. Dort müssten wir alle Daten finden, die noch fehlen.“
„Viel habt ihr noch nicht geschafft. Na, dann wollen wir mal.“
Anna setzte sich an einen der Laptops.
„Ich habe die Informationen, die wir von Sun Equity brauchen, beisammen. Als Erstes werde ich diese in die Anmeldung einspeisen.“
„In Ordnung.“
Stunden später rieb Anna sich die Augen. Ihr Blick fiel auf Christiano, der konzentriert arbeitete. Seine Schläfen waren grau geworden, oder waren sie schon grau gewesen, bevor sie ihn vor die Tür gesetzt hatte? Sie erinnerte sich nicht. Überhaupt hatte sie ihn in den letzten Monaten wenig beachtet, sondern sich nur auf ihre Schwangerschaft konzentriert. Wann hatte sie ihn das letzte Mal in den Arm genommen, wenn er abends müde nach Hause kam? Sie erinnerte sich nicht. Sie hatte ihn immer beneidet. Er hatte nichts aufgeben müssen. Wofür sollte sie ihn also in den Arm nehmen? Christiano hob den Kopf. Ihre Blicke trafen sich. Er sah sie fragend an.
„Ich brauche eine Pause, mir fallen die Augen zu“, erklärte sie.
„Ich hole uns Kaffee.“ Er stand auf und massierte sich den Nacken.
„Okay.“
Sie lehnte sich im Stuhl zurück und schloss die Augen. Es war alles so vertraut. Die Erinnerung an andere Zeiten schwebte in der Luft. Als sie sich kennenlernten, hatten sie auch zusammen die Nächte in Besprechungsräumen verbracht. Damals mit vielen anderen. Doch wenn ihre Blicke sich gekreuzt hatten, waren sie alleine gewesen. „Hier ist der
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