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Kein Job fuer schwache Nerven

Kein Job fuer schwache Nerven

Titel: Kein Job fuer schwache Nerven Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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wahrscheinlich sogar fachmännisch.
    Nötig ist das nicht. Die großen Blutgefäße am Hals kann man sich auch mit einem Fuchsschwanz öffnen, das ist in jedem Fall eine todsichere Sache. Rettung ausgeschlossen. Schließlich versorgt die Halsschlagader das Gehirn direkt mit Sauerstoff. Wenn ein Retter die Blutung stoppt, folgt der Hirntod mangels Durchblutung. Wenn nicht, verblutet das Opfer. Man müsste blitzschnell eine Umleitung legen, aber so viel Zeit und Blut hat der Selbstmordkandidat nicht zur Verfügung. Dabei ist es ganz egal, wie man die Adern durchtrennt. Aber dem ehemaligen Manager war es offenbar nicht egal gewesen. Das sah man an dem Badezimmer.
    Der Raum war klein, vielleicht einen Meter breit und zweieinhalb Meter tief, gefliest vielleicht Anfang der 1980er-Jahre oder Ende der Siebziger, mit diesen beigebraunen Keramikfliesen und den abgerundeten Kunststoffregalen. Es gab eine beigebraune Toilette, ein beigebraunes Waschbecken. Das Waschbecken war mittelmäßig blutverschmiert, einige Blutschmierer waren unten an der Toilettenschüssel. Der Rest seines Blutes befand sich auf dem Boden und zeigte, dass der Estrich nicht ganz sauber verlegt worden war. Das Blut hatte sich an der linken Wand gesammelt. Es war nicht anders möglich: Der Mann hatte sich nur die Venen geöffnet.
    Denn Blutgefäß ist nicht gleich Blutgefäß. Die dicke Ader am Hals besteht eigentlich aus drei Teilen, einer Zuleitung zum Gehirn und zwei Ableitungen. Und wer da unbedarft herumsäbelt, erwischt üblicherweise alle drei. Aber dann hätte das Badezimmer anders ausgesehen. Wenn man die Arterie am Hals durchtrennt, knapp 20 Zentimeter über dem Herzen, dann landet das Blut zwar auch am Boden, aber erst, wenn es wieder von der Decke runtergetropft ist. In diesem Bad gab es über Schulterhöhe, eigentlich sogar über Hüfthöhe keine nennenswerten Blutspuren. Und bei einer Halsschlagader könnte das ja noch Zufall sein, aber bei zweien wird das schon sehr unwahrscheinlich. Aber das war es nicht, was ich mit dem beharrlich schweigenden Über-Ich meine.
    Sein Über-Ich hätte da sowieso nichts mehr tun können. Ob Arterie oder Vene, tödlich ist beides. Wenn man also schon alle Blutgefäße geöffnet hat, bleibt auch dem Über-Ich nicht mehr viel zu tun, außer zuzusehen, wie das Blut rausrinnt. Sein Über-Ich hätte aber wenigstens dann etwas sagen können, als er die wenige verbliebene Zeit dazu nutzte, sich das Messer in den Brustkorb zu rammen und an seinem Herzmuskel herumzusäbeln. So einen zerlegten Herzmuskel, sagte der Notarzt später, habe er überhaupt noch nie gesehen. Und so was tut doch weh. Verbluten ist vielleicht auch nicht schön, aber Verbluten macht vor allem nur müde. Doch sich im und am Herzen herumzustechen, dazu gehört schon jede Menge Selbsthass. Und eigentlich hätte man in diesem Fall vom Über-Ich keine Wunderdinge erwartet, einfach nur den Satz: » Du, komm, lass gut sein, das braucht’s doch gar nicht mehr.«
    Aber da hat sein Über-Ich den Mund gehalten.
    Das Blut war flächig auf den Fliesen eingetrocknet.
    » Kriegen Sie das hin?«, fragte der verbliebene Bruder.
    » Sicher«, sagte ich, » das sieht nicht so schwer aus.«
    » Ich weiß«, sagte er, » aber die Herrschaften vom KIT , die haben gemeint, ich sollte es diesmal vielleicht nicht selbst machen.«
    » Diesmal?«
    Und dann erzählte er, dass sich bereits der Vater der beiden Brüder umgebracht hatte. Er hatte sich die Pulsadern geöffnet und war dann in den Swimmingpool gesprungen. Die Reinigung war damals an ihm hängen geblieben. Das Wasser hatte er natürlich ablassen können. Aber Blut hinterlässt auch in der höchsten Verdünnung einen Film. Er hatte damals das gesamte Becken selbst geschrubbt, von Hand. Und vielleicht hatte ihm das auch den neuen Selbstmord beschert: Sein Bruder hatte bewusst seine eigene Familie nicht mit hineingezogen. Er hatte seinen Freitod dem Bruder anvertraut, weil er wusste, dass der das schon einmal bewältigt hatte, und weil er deshalb hoffte, dass er damit besser klarkäme. Er hatte auch den Abschiedsbrief im Büro deponiert. Eine bittere Abrechnung vor allem mit sich selbst: Er warf sich vor, nicht auf Menschen zugehen zu können, nicht lieben zu können, unehrlich zu sein und sich zu verstellen. Ich hatte ihn ja nicht gekannt, aber so wie die Dinge lagen, war er vermutlich nicht weniger ehrlich als jeder andere ganz normale Mensch. Er hinterließ keine Schulden, nur eine zwei Quadratmeter große,

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