Kein Kanadier ist auch keine Lösung
alles einhämmern musste. John hatte Augen im Kopf und verfügte über eine unglaubliche Beobachtungsgabe. Vielleicht war es das indianische Erbe in ihm. Oder vielleicht war er einfach nur ein aufmerksamer Mann. Ganz im Gegensatz dazu stand sein Unwille diese Aufmerksamkeit einer einzigen Frau voll und ganz zu schenken. Warum ließ er sich nicht auf Beziehungen ein? Er wäre mit Sicherheit ein Ehemann, von dem die meisten Frauen träumten.
Während sie ihren Überlegungen nachging, legte John die Isomatte quer vor das Feuer. Sie war etwas breiter, als Sandra es kannte, aber nicht breit genug, um zwei Menschen nebeneinander bequem liegen zu lassen.
„ Du nimmst die Matte dicht am Feuer und ich werde mich später auf den Sand hinter deinem Rücken legen, damit du nicht auskühlst. Es wird jetzt nachts ganz schön frisch auf den weiten Ebenen. Im Wald ist das anders, die Bäume halten den Wind ab. Mit dem Schlafsack können wir uns beide zudecken.“
Er wartete ihr Nicken ab und setzte sich dann dicht neben sie auf die Matte. Es war zwecklos, ihm zu widersprechen. Selbst mit gebrochenen Rippen würde er nicht die Matte für sich selbst akzeptieren. Dazu war er zu sehr der edle Ritter und sie die Dame in Not, die unbedingt stilvoll gerettet werden musste.
Mit einem Schwung hüllte er sie beide in den offenen Schlafsack ein. So schauten sie eine Weile ins Feuer und Sandra wurde angenehm warm. Sie drückte das dicke Material der Decke und spürte die Daunen, die sicher gut waren für Minusgrade. Letzte Nacht war sie viel zu abgelenkt gewesen von Johns Nähe, als dass sie solche Details bemerkt hätte.
„ Der ist gut für bis minus fünfundsiebzig Grad“, erklärte John, ihre prüfenden Finger betrachtend.
„ Oh mein Gott! Fünfundsiebzig? So kalt wird es hier?“
„ Nicht hier, aber weiter im Norden schon. Ich habe schon öfter mal Wintercamping gemacht.“
Eine derartige Kälte lag jenseits ihres Vorstellungsvermögens.
„ Wintercamping! Ihr spinnt doch, ihr Kanadier!“
John lachte in sich hinein. „Da magst du recht haben. Ich habe mich in die Wälder fliegen lassen, wo keine Straße hinführt, und dort ein Survivaltraining gemacht.“
Sie schüttelte den Kopf. „Wie kommt man nur auf solche Ideen?“
„ Ich denke, das kommt ganz automatisch, wenn man in der Kälte geboren wurde und gelernt hat, mit ihr umzugehen. Dann möchte man irgendwann die echten Extreme kennen lernen. Und seine eigenen Grenzen. Ich weiß jetzt wenigstens, was ich in einer Notsituation machen muss.“
Sandra nickte und dachte darüber nach. Dieses Land war ihr genauso fremd wie der Saturn. John konnte so vernünftig klingen und dann wieder so engstirnig. Jedenfalls war sie ihm dankbar.
„ Danke, dass du dich so lieb um die ahnungslose Stadtfrau kümmerst.“
„ Ich bin eben ein Gentleman.“
Sie sahen sich an. Sein Grinsen verwandelte sich in ein bezauberndes Lächeln. Er war so nah, sie konnte seine Wärme spüren und hätte nur die Schulter leicht drehen müssen, die Lippen spitzen, um ihn zu küssen. Stattdessen brach sie den Blickkontakt. Heftiges Verlangen stritt sich mit ihrem Willen, dem nicht nachzugeben.
„ Es ist schwer, so tatenlos neben dir zu sitzen, muss ich zugeben.“
Er lachte leise. „Wem sagst du das. Aber es war nicht meine Idee.“
„ Da hast du recht. Jetzt muss ich mit meinen Prinzipien leben.“
Er nickte, den Blick ins Feuer gerichtet. Prinzipien waren anscheinend etwas, das er akzeptieren konnte. Er machte keinen neuen Versuch, sie davon abzubringen. Sandra ärgerte sich darüber, dass sie das auch noch bedauerte. Sie genoss seine Nähe wie ein heißes Getränk, sog das Gefühl in sich auf und wollte mehr, mehr.
Außer dem knisternden Feuer war nichts zu hören. John stocherte erneut in der Glut, mit einem langen Stock, dessen Ende er angespitzt hatte. Ab und zu prüfte er damit den Garzustand des Hasen.
„ Hey, ich denke jetzt ist er fertig.“
Er schälte sich aus dem Schlafsack und den Hasen aus der Glut. Geschickt hantierte er mit dem Messer und einem Stock.
„ Das sieht aus, als ob du jeden Tag so isst“, bemerkte Sandra.
„ Nicht jeden Tag, nein. Aber wie gesagt, wir gingen oft zum Campen. Und meistens spontan, ohne Grill und großen Aufwand. Hauptsache, jemand hatte Bier dabei.“
„ Ich verstehe. Mit deinen Freunden?“
John nickte und legte Fleischstücke auf einen breiten Stein, den er als Tisch herangerollt und flüchtig vom Sand befreit hatte. Sie beklagte sich
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