Kein Kanadier ist auch keine Lösung
war es dort nicht so trocken und die Pflanze konnte gedeihen, während es auf dem Weg, den sie gekommen waren, kaum grell blühende Blumen gegeben hatte. Sie erledigte ihr Geschäft und ging langsam zurück zum Lager, wo sie eine Bierflasche nahm und Wasser trank. Hätte es sich um einen Urlaub gehandelt, wäre sie jetzt glücklich gewesen. So aber machte sie sich Sorgen um Rolf, der über ihr Verschwinden ganz außer sich sein musste. Die Polizei hatte nicht den geringsten Anhaltspunkt, wo man nach ihr suchen sollte. Vielleicht hatte John seiner Sekretärin gesagt, was er vorhatte, und dann würde man zumindest seinen Wagen finden, was allerdings auch nicht viel weiterhelfen würde.
„ Guten Morgen“, sagte John und streckte sich, um gleich darauf wie ein Taschenmesser zusammenzuklappen. Autsch, das hatte sicher wehgetan.
„ Guten Morgen, mein Held. Tut noch immer weh, was?“
Er nickte und versuchte aufzustehen. Sandra konnte sich nicht beherrschen, sie musste einfach auf seinen Schritt schauen. Doch die Ausbeulung dort war harmlos. Also wachte er doch nicht jeden Morgen in diesem Zustand auf, notierte sie sich geistig. Manchmal konnte er ein richtiger Dummschwätzer sein.
Während John hinter einem Busch verschwand, unterzog Sandra sich einer Katzenwäsche im Fluss. Gern wäre sie kurz ganz hineingetaucht, aber sie konnte sich schlecht in seiner Gegenwart nackt ausziehen. Dann wäre es mit seiner vornehmen Zurückhaltung sicher dahin.
Schon kam er zurück und erfrischte sich ebenfalls am Fluss. Sandra lieh ihm ihre Haarbürste, die er dankbar benutzte. Nachdem er sein Gesicht benetzt hatte, sah er schon besser aus um die Augen als am Tag zuvor.
„ Soll ich das Frühstück ausgraben?“, wollte er wissen.
„ Ja, gern. Wie lange müssen wir heute laufen?“
„ Nicht mehr so lange. Wir sind gestern recht gut vorangekommen. Am Nachmittag sollten wir auf eine Straße treffen. Von dort aus wird uns jemand mitnehmen.“
Einen halben Tag zu laufen, kam ihr länger vor als das, was sie gestern bewältigt hatte. Sie spürte jeden einzelnen Knochen ihres Körpers. Es musste sich um einen ausgewachsenen Muskelkater handeln. Der Boden war trotz des Sandes auch nicht gerade weich gewesen. Noch einen Gewaltmarsch machen zu müssen, zwang sie fast in die Knie. Es musste ihr gelungen sein, sich nichts anmerken zu lassen, denn John machte keine Anmerkungen.
Schweigend aßen sie das kalte Fleisch, das noch immer gut schmeckte. Nur zwei Mal knirschte Sand auf Sandras Zähnen. Das würde gleich die Zähne putzen.
Die Bierflaschen mit Wasser gefüllt, machten sie sich auf den Weg.
John war sonderbar still geworden. Er hatte die restlichen Pillen genommen, aber wie immer nicht verkündet, ob sie ihm halfen.
Nach zwei Stunden nervenzerrender Stille in brütender Hitze standen sie an einer Straße, die sich als graue Schnur durch die Wildnis zog. Sandra hatte kein Gefühl mehr in den Füßen. Sie setzte sich in den Straßengraben auf das braune, von der Sonne versengte Gras und zog die Schuhe aus. Die ehemals weißen Turnschuhe waren graubraun, schwarz an den Stellen, wo das Wildblut angetrocknet war. Sie würde sie wegwerfen müssen. Ein Blick auf John ergab, es ging ihm nicht gut. Er war viel zu blass unter seiner Bräune, sein Atem ging stoßweise und Schweißperlen tropften von seinem Gesicht.
„ Setz dich her“, sagte sie.
John ließ sich vorsichtig neben ihr nieder, als bestünde er aus Kristallglas und ein leichtes Antippen würde ihn zersplittern.
„ Wenn ein Auto vorbeikommt, lauf bitte auf die Straße und halte es an, ja?“, sagte er müde und legte sich in Zeitlupe nach hinten ab.
„ Egal aus welcher Richtung?“, wollte sie wissen und blickte sich nach beiden Seiten um.
„ Egal aus welcher Richtung“, murmelte er.
Gähnende Leere in beiden Richtungen. Wahrscheinlich konnten sie von Glück sagen, wenn sich überhaupt ein Auto blicken ließ.
„ Oh“, sagte sie, als sie das kapierte.
John hörte die Frustration in ihrer Stimme und tätschelte beruhigend ihren Oberschenkel. Dann deutete er auf einen Baum über die Straße.
„ Siehst du den Raben dort drüben? Das ist ein Zeichen. Alles wird gut, mach dir keine Sorgen.“
Der magische Rabe begleitete sie. Tatsächlich? Johns Indianerglaube schien unerschütterlich. Er war die Ruhe selbst. Warum nur tröstete das Sandra kein bisschen? Bestimmt gab es hier eine Million Raben, und einen zu finden, wenn man einen brauchte, war nicht magisch,
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