Kein Kanadier ist auch keine Lösung
zu kommen, kaum zügeln. Im Großem und Ganzen jedoch mochte sie die Art der Kanadier. Der mehr persönliche Kontakt hatte seinen Reiz und machte ihr Spaß. Die Arbeit war weniger stressbelastet als zu Hause.
Im November verlief ihr Leben noch immer wie im Märchen. Einmal in der Woche fuhr sie raus zu Joe und sie besprachen die Korrespondenz. Joe brachte seine Anliegen fast perfekt in Form und Sprache, sie musste nur noch wenig daran feilen. Doch dank ihrer Hilfe stand er nun auch per Email mit wichtigen Ämtern in Kontakt, was sich als viel schneller erwies als durch den langsamen Schriftverkehr mit einem Postwesen, das Sandra für eines der trägsten der ganzen Welt hielt. Einfache Briefe brauchten manchmal Wochen, um an den Empfänger zu gelangen. Joe ließ sich gern beraten, was das Vorgehen in einigen bürokratischen Angelegenheiten anging, und überließ ihr dankbar das Schreiben von Sitzungsprotokollen von Komitees und Vereinigungen, denen er vorstand. Der Mann hatte ein voll beschäftigtes Leben als Clan-Chief.
Ein junges Mädchen namens Mandy saugte begierig das Computerwissen auf, das Sandra ihr vermittelte. Das Kind war sechzehn Jahre alt und träumte davon, als Sekretärin in der großen Stadt zu arbeiten, anstatt wie ihre Brüder im Reservat zu versauern. Sandra tat ihr Bestes, um sie darauf vorzubereiten. Auch andere Bewohner des Reservates hatten sie ins Herz geschlossen und freundlich aufgenommen. Offenherzig waren diese Menschen und es mochte auch etwas damit zu tun gehabt haben, dass sie jedes Mal von John gebracht und abgeholt wurde, dem Neffen des Chiefs, der ihr vertraute.
Wieder im Büro nahm sie ihre große Vorlagenmappe und verließ den Raum. Sie wollte eine Präsentation für gesalzene Erdnüsse mit John besprechen. Sie hatte ihn den ganzen Tag nicht gesehen, denn er hatte heute Meeting über Meeting. Die Tür zu Connie stand halb offen und sie spähte hinein, wollte wissen, ob wieder internationale Besucher auf den Empfang beim Chef warteten oder ob es ein günstiger Zeitpunkt war, um John zu stören. Sie hörte Connies und Johns leise Stimmen. Ein Blick zu Connies Schreibtisch ließ sie erstarren. Sie standen eng beieinander und John hatte seinen Arm um sie gelegt. Sie lächelten und flüsterten. John warf seinen Kopf nach hinten und gab sein samtiges Dracula-Lachen von sich. Dann bog er sich nach vorn und küsste Connie auf den Mund.
Sandras Herz setzte aus.
Sie wollte weglaufen, doch der Befehl des Gehirns wurde von den Beinen verweigert. John ließ Connie los, kniff ihr in den Po, zwinkerte ihr zu und ging lachend in sein Büro. Connie sortierte ihr flammend rotes Haar und setzte sich auf ihren Stuhl.
Sie sah verdammt glücklich aus.
Sandra schaffte es irgendwie zurück in ihr Büro, ohne eine bewusste Erinnerung an die Flure, die sie durchquerte, oder Menschen, denen sie begegnete.
Den Rest des Tages konnte sie sich nicht mehr auf die Arbeit konzen-trieren. Was war da los? Was für ein Spiel spielte er? Und Connie verhielt sich wie eine Freundin zu ihr. Niemals hätte sie geahnt ... oder war Connies Freundlichkeit nur wieder eine dieser Höflichkeitsaktionen? Mein Gott, wie konnte man in diesem Land irgendjemandem trauen, wenn alle diese höfliche, liebenswürdige Maske trugen?
Bis zum Abend hatte sich ihr Ärger verzogen und tiefer Enttäuschung das Feld überlassen. Als John sie zum nach Hause fahren abholte, sprach sie kein Wort, und als er sie küssen, wollte drehte sie den Kopf zur Seite.
John bemerkte die eiskalte Wand zwischen ihnen, wollte jedoch nicht im Büro anfangen, mit Sandra zu diskutieren, was immer ihr auch über die Leber gelaufen sein mochte. Verstehe einer die Frauen. Eben waren sie noch sanfte, gefügige Kätzchen und im nächsten Moment war Drama angesagt, aus meist völlig aus der Luft gegriffenen Gründen, die kein Mann nachvollziehen konnte. Das war genau der Grund, warum er noch keine Frau gefunden hatte, mit der er es aushielt. Und nun fing Sandra auch damit an. Verdammt! Alles lief so gut, warum nur war sie plötzlich so? Sie legte ihm die Schweigestrafe auf und er wusste nicht einmal, warum. Alles in ihm schrie nach Beenden dieser Farce, auf dem stummen Weg nach Hause, mit einer aus dem Seitenfenster starrenden Sandra. Doch da war noch eine andere Stimme, die er bisher noch nie gehört hatte. Sie flüsterte nur, aber er konnte sie verstehen, oder besser, empfinden. Sie sagte, er solle Geduld haben und nicht gleich wieder aufgeben.
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