Kein Kuss unter dieser Nummer: Roman (German Edition)
viel besser. Kleiner Rat, Poppy. Halten Sie sich von Fischen fern.«
Am liebsten würde ich loslachen, beiße mir aber auf die Lippe.
»Okay.« Ich nicke so ernsthaft wie möglich. »Ich werde es mir merken.«
Er verdrückt den letzten Taco, atmet lautstark aus und sieht sich in der Bar um. Oh-oh. Er scheint unruhig zu werden. Ich darf nicht zulassen, dass er herumspaziert.
»Und wie war Sam so auf dem College?«, frage ich, um das Gespräch wieder etwas in Gang zu bringen.
»Hochbegabt.« David sieht etwas griesgrämig aus. »Sie kennen diesen Typ. Ruderte fürs College. Wusste immer, dass ihm alles gelingen würde. Kam im zweiten Jahr ein bisschen von der Bahn ab. Hat Probleme bekommen. Aber das war verständlich.«
»Wieso?« Ich runzle die Stirn, kann ihm nicht folgen.
»Ach, na ja.« David zuckt mit den Schultern. »Nachdem seine Mum gestorben war.«
Ich erstarre, mein Glas bleibt auf halbem Weg zu meinem Mund stehen. Was hat er gerade gesagt?
»Entschuldigen Sie …« Ich versuche nicht sehr erfolgreich, meinen Schreck zu verbergen. »Haben Sie eben gesagt, Sams Mutter sei gestorben?«
»Wussten Sie das nicht?« David wirkt überrascht. »Anfang des zweiten Jahres. Ich glaube, sie war herzkrank. Es ging ihr schon vorher nicht gut, doch niemand hatte erwartet, dass sie so schnell den Löffel abgeben würde. Sam hat es ziemlich schwergenommen, der arme Kerl. Aber ich sage ihm immer, du kannst gern meine alte Dame haben, wenn du willst …«
Ich höre gar nicht zu. Es summt in meinem Kopf. Er sagte, es sei ein Freund von ihm gewesen. Ich weiß es genau. Ich höre ihn jetzt noch: Ein Freund von mir hat seine Mutter verloren, als wir am College waren. Nächtelang habe ich mit ihm geredet. Viele Nächte … Und es geht nie weg …
»Poppy?« David wedelt mit der Hand vor meinem Gesicht herum. »Alles in Ordnung?«
»Ja!« Ich versuche zu lächeln. »Tut mir leid … Ich dachte, ein Freund von ihm hätte seine Mutter verloren. Nicht Sam selbst. Das muss ich verwechselt haben. Wie dumm von mir. Möchten Sie noch einen Whisky?«
David reagiert nicht auf mein Angebot. Einen Moment lang schweigt er, dann mustert er mich mit seinem leeren Glas in der Hand. Seine fleischigen Daumen zeichnen das Muster auf dem Glas nach, und ich betrachte sie wie gebannt.
»Sie haben nichts verwechselt«, sagt er schließlich. »Sam hat es Ihnen nicht erzählt, stimmt’s? Er hat gesagt, es wäre einem Freund von ihm passiert.«
Verdutzt starre ich ihn an. Ich hatte diesen Typen schon als grobschlächtigen Rüpel abgeschrieben. Aber er hat den Nagel auf den Kopf getroffen.
»Ja«, gebe ich schließlich zu. »Das hat er. Woher wussten Sie das?«
»Er ist zugeknöpft, unser Sam.« David nickt. »Als es passiert ist, als seine Mutter starb, hat er am College tagelang niemandem was davon erzählt. Nur seinen beiden engsten Freunden.«
»Natürlich.« Ich zögere zweifelnd. »Sind … Sie das?«
»Ich!« David schnaubt ein scharfes Lachen hervor. »Nein, ich nicht. Ich gehöre nicht zum engeren Kreis. Das sind Tim und Andrew. Die beiden sind seine besten Freunde. Haben alle im selben Boot gerudert. Kennen Sie die?«
Ich schüttle den Kopf.
»Wie siamesische Drillinge sind die drei, selbst heute noch. Tim arbeitet bei Merrill Lynch, Andrew ist irgendwo Strafverteidiger bei Gericht. Und natürlich steht Sam seinem Bruder Josh sehr nah«, fügt David hinzu. »Er ist zwei Jahre älter. Kam ihn früher oft besuchen. Hat Sam beigestanden, als er Probleme bekam. Hat mit seinen Tutoren gesprochen. Er ist ein netter Kerl.«
Ich wusste auch gar nicht, dass Sam einen Bruder hat. Während ich dasitze und das alles verdaue, fühle ich mich ein wenig gedemütigt. Von Tim oder Andrew oder Josh habe ich noch nie gehört. Aber andererseits, wieso sollte ich von ihnen gehört haben? Wahrscheinlich simsen sie Sam direkt an. Wahrscheinlich pflegen sie Kontakt wie normale Menschen. Privat. Nicht wie die Hexe Willow und alte Freunde, die einem nur Geld aus dem Kreuz leiern wollen.
Die ganze Zeit dachte ich, ich hätte Sams Leben im Blick. Doch offenbar war es nicht sein ganzes Leben. Es war nur eine Eingangsbox. Und danach habe ich ihn beurteilt.
Er hat Freunde. Er hat ein Leben. Er hat einen guten Draht zu seiner Familie. Er hat eine ganze Menge, von dem ich keine Ahnung habe. Ich war so was von bescheuert, als ich dachte, ich würde die ganze Geschichte kennen. Ich kenne ein einzelnes Kapitel. Mehr nicht.
Ich nehme einen Schluck Wein,
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