Kein Kuss unter dieser Nummer: Roman (German Edition)
liebes Kind«, sagt Paul konsterniert. »Es tut mir so leid …«
»Macht nichts!«, falle ich ihm fröhlich ins Wort. »Wirklich. Es war ein Unfall. Vor zehn Jahren. Ich spreche nicht darüber. Ich denke nicht daran. Nicht mehr.«
Ich lächle ihn so tapfer an, wie es mir möglich ist. Ich werde nicht darauf eingehen. Ich gehe nie darauf ein. Es ist alles irgendwo in meinem Kopf verstaut. Vergraben.
Niemand mag Geschichten über unangenehme Dinge. Das stimmt wirklich. Ich weiß noch, wie mein Tutor am College mich fürsorglich fragte, wie es mir denn so ginge und ob ich mit ihm reden wolle. Als ich anfing, meinte er nur: »Du darfst nur den Mut nicht verlieren, Poppy!«, und zwar eher barsch, was heißen sollte: »Ich will davon eigentlich nichts hören, also hör bitte auf.«
Es gab da eine Selbsthilfegruppe. Zu der ging ich jedoch nicht hin. Sie kollidierte mit dem Hockeytraining. Und außerdem, was gibt es da zu reden? Meine Eltern waren tot. Mein Tante und mein Onkel nahmen uns auf. Meine Cousins waren schon ausgezogen, also hatten sie Platz genug.
Es war einfach passiert. Dazu gab es nichts zu sagen.
» Wunderschöner Verlobungsring, Poppy!«, sagt Reverend Fox schließlich, und alle freuen sich über den Themenwechsel.
»Ist er nicht zauberhaft? Er ist antik.«
»Ein Familienerbstück«, wirft Wanda ein.
»Etwas ganz Besonderes.« Paul tätschelt freundlich meine Hand. »Ein absolutes Einzelstück.«
Mit scheppernden Eisenriegeln öffnet sich die Kirchentür. »Tut mir leid, dass ich spät dran bin«, hören wir eine vertraute, schneidende Stimme. »Was für ein Tag!«
Mit Taschen voller Seide kommt Lucinda den Mittelgang entlangmarschiert. Sie trägt ein beigefarbenes Etuikleid, auf dem Kopf sitzt eine gewaltige Sonnenbrille, und sie sieht gestresst aus. »Reverend Fox! Haben Sie meine Mail bekommen?«
»Ja, Lucinda«, sagt Reverend Fox müde. »Das habe ich. Ich fürchte, die Kirchensäulen dürfen unter keinen Umständen mit silberner Farbe besprüht werden.«
Abrupt bleibt Lucinda stehen, und ein Ballen grauer Seide wickelt sich ab, rollt den Mittelgang entlang.
»Können sie nicht ? Und was soll ich jetzt machen? Ich habe dem Floristen silberne Säulen versprochen!« Sie sinkt auf die nächstbeste Kirchenbank. »Diese verfluchte Hochzeit! Ist es nicht das eine, ist es das andere …«
»Keine Sorge, Lucinda, Liebes«, sagt Wanda und fällt liebevoll über sie her. »Ich bin mir sicher, dass du deine Sache wunderbar machst. Wie geht es deiner Mutter?«
»Oh, der geht es gut.« Lucinda winkt ab. »Nicht dass ich sie überhaupt mal zu sehen bekäme, denn schließlich stehe ich bis zum Hals in … Wo ist diese verdammte Clemency schon wieder?«
»Übrigens habe ich die Autos angemietet«, sage ich hastig. »Alles erledigt. Und das Konfetti auch, und ich dachte, ob ich vielleicht ein paar Knopflochsträußchen für die Platzanweiser besorgen soll?«
»Wenn du so freundlich wärst«, sagt sie leicht gereizt. »Ich wäre dir dankbar.« Sie blickt auf und scheint mich zum ersten Mal so richtig wahrzunehmen. »Ach, Poppy. Eine gute Nachricht habe ich. Ich habe deinen Ring gefunden! Er steckte im Futter meiner Tasche fest.«
Sie holt den Smaragd hervor und hält ihn mir hin. Ich bin dermaßen verdattert, dass ich nur zwinkern kann.
Der echte Ring. Mein echter, antiker, unbezahlbarer Smaragd-Verlobungsring. Da ist er, direkt vor meiner Nase.
Wie hat sie …
Was zum Teufel …
Ich kann mich nicht dazu bewegen, irgendwen anzusehen. Dennoch bin ich mir der erstaunten Blicke um mich herum bewusst, die sich kreuzen wie Laserstrahlen und hin und her zucken von meinem falschen Ring zum echten und wieder zurück.
»Ich verstehe nicht recht …«, setzt Paul schließlich an.
»Was gibt’s Neues, Leute?« Magnus kommt den Mittelgang entlang, erblickt unsere betretenen Mienen. »Hat hier jemand ein Gespenst gesehen? Den Heiligen Geist vielleicht?« Er lacht über seinen eigenen Scherz, doch keiner geht darauf ein.
»Wenn das der Ring ist …« Wanda scheint ihre Stimme wiedergefunden zu haben. »Was ist dann das ?« Sie deutet auf das Imitat an meinem Finger, das inzwischen natürlich aussieht, als käme es aus einem Bonbonautomaten.
Mir schnürt sich dermaßen die Kehle zusammen, dass ich kaum Luft bekomme. Irgendwie muss ich die Situation retten. Irgendwie . Sie dürfen nie erfahren, dass ich den Ring verloren hatte.
»Ja! Ich … dachte schon, dass ihr überrascht sein würdet!« Irgendwie finde
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