Kein Land für alte Männer
das.
Ja, das versteh ich.
Was solche Sachen angeht, hab ich nie was anderes gelernt. Und lern ich hoffentlich auch nie.
Ja, Ma’am.
Ich sag Ihnen was, wenn Sie’s hören wollen.
Ich will es hören.
Vielleicht halten Sie mich dann für seltsam.
Vielleicht.
Vielleicht halten Sie mich sowieso schon für seltsam.
Nein, tu ich nicht.
Als ich mit der Highschool fertig war, war ich noch sechzehn und hab mir einen Job im Wal-Mart besorgt. Ich hab nicht gewusst, was ich sonst tun sollte. Wir haben das Geld gebraucht. War weiß Gott wenig genug. Jedenfalls, in der Nacht, bevor ich dort angefangen hab, habe ich einen Traum gehabt. Oder so was Ähnliches wie einen Traum. Ich glaub, ich war noch halb wach. Aber in dem Traum, oder was es auch war, ist es mir gekommen, dass er mich finden würde, wenn ich dort anfange. Im WalMart. Ich hab nicht gewusst, wer er ist oder wie er heißt oder wie er aussieht. Ich hab nur gewusst, ich würd ihn erkennen, wenn ich ihn sehe. Ich hab einen Kalender geführt und die Tage markiert. Wie man’s im Gefängnis macht. Ich meine, ich war nie im Gefängnis, aber so macht man das dort ja wahrscheinlich. Und am neunundneunzigsten Tag ist er reingekommen und hat mich gefragt, wo die Sportabteilung ist, und er war’s. Und ich hab ihm gesagt, wo sie ist, und er hat mich angeschaut und ist weitergegangen. Aber er ist gleich wiedergekommen, hat mein Namensschildchen gelesen, meinen Namen gesagt, mich angeschaut und gefragt: Wann machen Sie Schluss? Und das war’s auch schon. Ich hab nicht den geringsten Zweifel gehabt. Damals nicht, heute nicht, überhaupt nie.
Das ist eine schöne Geschichte, sagte Bell. Ich hoffe, sie hat auch ein schönes Ende.
Genau so ist es passiert.
Ich weiß. Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie mit mir geredet haben. Jetzt lass ich Sie wohl besser in Ruhe, so spät, wie es ist.
Sie drückte ihre Zigarette aus. Tja, sagte sie. Tut mir leid, dass Sie die ganze Strecke gefahren sind und dann so wenig dabei herausgekommen ist.
Bell griff nach seinem Hut, setzte ihn auf und rückte ihn zurecht. Tja, sagte er. Man gibt sein Bestes.
Und manchmal geht es ja gut aus.
Machen Sie sich wirklich Sorgen?
Wegen Ihrem Mann?
Wegen meinem Mann. Ja.
Ja, Ma’am. Das tu ich. Die Leute von Terrell County haben mich angestellt, damit ich mich um sie kümmere. Das ist mein Job. Ich werde dafür bezahlt, dass ich als Erster was abkriege. Oder umgebracht werde. Und ob ich mir Sorgen mache.
Sie verlangen von mir, dass ich Ihnen glaube, was Sie sagen. Aber Sie sind derjenige, der es sagt.
Bell lächelte. Ja, Ma’am, sagte er. Ich bin derjenige, der es sagt. Ich hoffe bloß, Sie denken über das nach, was ich gesagt hab. Was die Schwierigkeiten angeht, in denen er steckt, hab ich kein Wort erfunden. Wenn er umgebracht wird, muss ich damit leben. Aber das kann ich. Ich will bloß, dass Sie darüber nachdenken, ob Sie das auch können.
Na gut.
Darf ich Sie was fragen?
Nur zu.
Ich weiß, man soll eine Frau nicht nach ihrem Alter fragen, aber irgendwie bin ich doch ein bisschen neugierig.
Schon gut. Ich bin neunzehn. Ich sehe jünger aus.
Wie lang sind Sie schon verheiratet?
Drei Jahre. Fast drei Jahre.
Bell nickte. Meine Frau war achtzehn, als wir geheiratet haben. Gerade geworden. Die Ehe mit ihr wiegt jede Dummheit auf, die ich je gemacht hab. Ich glaub sogar, ich hab noch ein paar gut. Was das angeht, bin ich, glaub ich, hoch in den schwarzen Zahlen. Sind Sie so weit?
Sie griff nach ihrer Handtasche und stand auf. Bell nahm die Rechnung und schob sich aus der Nische. Sie steckte ihre Zigaretten in die Handtasche und sah ihn an. Ich sag Ihnen was, Sheriff. Mit neunzehn ist man alt genug, um zu wissen, dass es, wenn man was hat, was einem alles bedeutet, nur umso wahrscheinlicher ist, dass es einem weggenommen wird. Mit sechzehn eigentlich auch schon. Ich denke drüber nach.
Bell nickte. Solche Gedanken sind mir nicht fremd, Carla Jean. Solche Gedanken sind mir sehr vertraut.
Er schlief in seinem Bett, und draußen war es noch weitgehend dunkel, als das Telefon klingelte. Er warf einen Blick auf den alten Wecker mit Leuchtziffern, der auf dem Nachtschränkchen stand, und nahm den Hörer ab. Sheriff Bell, sagte er.
Er hörte etwa zwei Minuten lang zu. Dann sagte er: Danke, dass du mich angerufen hast. Ja. Das Ganze ist ein regelrechter Krieg. Ich weiß kein anderes Wort dafür.
Um Viertel nach neun hielt er vor dem Sheriffbüro von Eagle Pass, und er und der Sheriff saßen im Büro, tranken Kaffee und sahen
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