Kein Land für alte Männer
weil ich nicht weiß, wer du bist.
Damit wären wir schon zu zweit.
Du weißt nicht, wer du bist?
Quatsch. Ich weiß nicht, wer Sie sind.
Schön, dann lassen wir’s einfach dabei, und keiner von uns vergibt sich was. In Ordnung?
In Ordnung. Wieso haben Sie mich das überhaupt gefragt?
Moss stippte mit einem halben Brötchen Steakfett auf. Ich hab einfach gedacht, dass es wahrscheinlich stimmt. Für dich ist es ein Luxus. Für mich eine Notwendigkeit.
Warum? Weil jemand hinter Ihnen her ist?
Vielleicht.
Mir gefällt das so, sagte sie. In dem Punkt hatten Sie recht.
Es dauert nicht lang, auf den Geschmack zu kommen, stimmt’s?
Nein, sagte sie. Es dauert nicht lang.
Aber so einfach, wie sich’s anhört, ist es auch nicht. Du wirst schon sehen.
Wieso?
Es gibt immer jemand, der weiß, wo du bist. Wo und warum. Jedenfalls meistens.
Reden Sie von Gott?
Nein. Ich rede von dir.
Sie aß. Na ja, sagte sie. Man wär auch ganz schön aufgeschmissen, wenn man nicht wüsste, wo man ist.
Ich weiß nicht. War man das wirklich?
Ich weiß nicht.
Angenommen, du wärst irgendwo, wüsstest aber nicht, wo. Eigentlich wüsstest du dann nicht, wo woanders ist. Oder wie weit weg es ist. Aber was den Ort angeht, wo du bist, würde das überhaupt nichts ändern.
Sie dachte darüber nach. Ich versuch, nicht über solche Sachen nachzudenken, sagte sie.
Du glaubst, du fängst irgendwie nochmal von vorn an, wenn du nach Kalifornien kommst.
Das hab ich vor.
Ich glaube, das ist der springende Punkt. Es gibt einen Weg, der nach Kalifornien führt, und einen, der von dort zurückführt. Aber am besten wär’s, einfach dort aufzutauchen.
Dort aufzutauchen.
Sie meinen, dort aufzutauchen und nicht zu wissen, wie man hingekommen ist.
Genau. Nicht zu wissen, wie man hingekommen ist.
Ich weiß nicht, wie man das anstellt.
Ich auch nicht. Das ist genau der springende Punkt.
Sie aß. Sie blickte sich um. Kann ich Kaffee haben?, fragte sie.
Du kannst alles haben, was du willst. Du hast Geld.
Sie sah ihn an. Ich glaub, ich weiß nicht recht, was der springende Punkt ist, sagte sie.
Der springende Punkt ist, dass es keinen springenden Punkt gibt.
Nein. Ich meine, was Sie da gesagt haben. Darüber, dass man weiß, wo man ist.
Er sah sie an. Nach einer Weile sagte er: Es geht nicht darum, dass man weiß, wo man ist. Sondern darum, dass man glaubt, man war dorthin gekommen, ohne was mitzunehmen. Über deine Vorstellungen vom Neu-Anfangen. Oder die von sonst jemand. Man fängt nicht nochmal von vorn an. Darum geht es. Jeder Schritt, den man tut, ist für immer. Man kann ihn nicht ungeschehen machen. Auch nicht teilweise. Verstehst du, was ich sage?
Ich glaub schon.
Ich weiß, dass du’s nicht verstehst, aber ich versuch’s nochmal. Du glaubst, wenn du morgens aufwachst, dass das Gestern nicht zählt. Dabei zählt nichts anderes. Was gibt es denn außerdem noch? Dein Leben besteht aus den Tagen, aus denen es besteht. Aus nichts anderem. Du glaubst vielleicht, du könntest weglaufen, deinen Namen ändern und was weiß ich noch alles. Nochmal von vorn anfangen. Und dann wachst du eines Morgens auf und starrst die Decke an, und rate mal, wer da liegt?
Sie nickte.
Verstehst du, was ich damit sagen will?
Das versteh ich. Ich hab das schon erlebt.
Ja, ich weiß.
Dann tut es Ihnen also leid, dass Sie ein Bandit geworden sind.
Nein, dass ich’s nicht schon früher geworden bin. Bist du so weit?
Als er aus der Motelrezeption kam, gab er ihr einen Schlüssel.
Was ist das?
Das ist dein Schlüssel.
Sie wog ihn in der Hand und sah ihn an. Tja, sagte sie. Das liegt ganz bei Ihnen.
Ja, das tut es.
Ich schätze, Sie haben Angst, dass ich sehe, was in der Tasche ist.
Eigentlich nicht.
Er ließ den Wagen an und fuhr auf den Parkplatz hinter der Rezeption.
Sind Sie schwul?, fragte sie.
Ich? Ja, ich bin stockschwul.
Sie sehen aber nicht so aus.
Ach ja? Kennst du viele Schwule?
Sie verhalten sich nicht so, hätt ich wohl sagen sollen.
Was weißt du denn darüber, Kleine?
Ich weiß nicht.
Sag das nochmal.
Was?
Sag das nochmal. Ich weiß nicht.
Ich weiß nicht.
Das ist gut. Das musst du üben. Bei dir klingt das gut.
Später verließ er das Zimmer und fuhr zum Supermarkt. Zum Motel zurückgekehrt, blieb er einen Moment im Wagen sitzen und musterte die anderen Fahrzeuge auf dem Parkplatz. Dann stieg er aus.
Er ging zu ihrem Zimmer und klopfte an die Tür. Er wartete und klopfte erneut. Er sah, wie sich der Vorhang bewegte, dann öffnete sie. Sie hatte noch immer dieselben Jeans und
Weitere Kostenlose Bücher