Kein Lord wie jeder andere (German Edition)
Curry zu brüllen, wenn der nicht schnell genug aufs Klingeln reagierte. Beth warf sich unruhig im Bett hin und her, ihr Gesicht war von einer fiebrigen Röte überzogen, und sobald etwas ihre Seite berührte, stöhnte sie auf. Curry versuchte, Ian zu überreden, in der Kammer nebenan zu schlafen, während eines der Dienstmädchen, Katie oder gar er selbst sich um Beth kümmerten, doch ohne Erfolg.
Ian hatte alle medizinischen Bücher in Harts ausgedehnter Bibliothek gelesen, zudem etliche Bände der damaligen Anstaltsbibliothek, somit war er mit den modernsten Behandlungsmethoden vertraut. In Anwendung dieser Erkenntnisse versorgte er Beths schwärende Wunde, brachte ihr Fieber herunter, fütterte sie und stellte sie ruhig.
Der Doktor kam mit Blutegeln, von denen die Schwellung tatsächlich ein wenig zurückging; doch die Öle, Salben und Spritzen mit verdächtig anmutenden Flüssigkeiten behagten Ian nicht. Also ließ er den Doktor damit nicht in Beths Nähe, woraufhin sich dieser lauthals bei Hart beschwerte, der allerdings nur wenig Verständnis für den Mediziner aufbrachte.
Jeden Tag reinigte Ian Beths Wunde, entfernte die giftigen Sekrete. Er wusch ihr Gesicht mit kühlem Wasser, fütterte sie mit Brühe, wobei er ihr manchmal den Löffel in den Mund zwingen musste, wenn sie den Kopf abwenden wollte. Auf sein Geheiß brachte Curry Eis gegen die Wundschwellung, mit dem restlichen Eis kühlte er ihre Stirn.
Am liebsten hätte er sie aus London fortgebracht, wo die rußige Luft durch jede Fensterritze drang, doch Ian fürchtete, Beths Wunde könnte sich dabei wieder öffnen. Er flocht ihr das Haar, um ihr Kühle im Nacken zu verschaffen, aber wenn das Fieber nicht bald sank, würde er ihr die hübschen Zöpfe abschneiden müssen.
Der Doktor schnalzte mit der Zunge und schlug ungewöhnliche Behandlungsmethoden vor, die Serum von Affendrüsen und andere Wundermittel vorsahen. Offenbar arbeitete er gerade mit Kollegen aus der Schweiz an dieser Therapie, und wenn er damit die Schwägerin des Herzogs von Kilmorgan kurieren könnte, wäre er ein gemachter Mann.
Unter Androhung von Gewalt jagte Ian ihn aus dem Haus.
Nach sechs Tagen war das Fieber noch immer nicht gesunken. Angstvoll saß Ian an ihrem Bett und hielt zart ihre Hand. Er würde sie verlieren.
»Fühlt sich so die Liebe an?«, flüsterte er. »Mir gefällt es nicht, Beth. Es schmerzt zu sehr.«
Beth reagierte nicht. Ihre Augen standen unter den geschwollenen Lidern halb offen, ein blindes blaues Glitzern. Heute war es ihm noch nicht einmal gelungen, ihr Essen einzuflößen.
Ian war übel, sein Magen rebellierte, und er musste aus dem Zimmer gehen, um Galle zu spucken. Als er wiederkam, war ihr Zustand unverändert. Ihr Atem ging schwer und keuchend, sie glühte.
Beth war erst vor ein paar Wochen so plötzlich in sein Leben getreten, und nun würde sie es ebenso plötzlich wieder verlassen. Die Angst vor diesem Verlust lähmte ihn. Nicht einmal die Einsamkeit und die Schrecken in der Heilanstalt hatten ihm so zugesetzt. Damals war es ums nackte Überleben gegangen, diese Leere jedoch drohte ihn von innen auszuhöhlen.
In der Dunkelheit des Krankenzimmers übermannten ihn die Erinnerungen. Sieben Jahre waren seit seiner Zeit in der Heilanstalt vergangen, doch sein virtuoses Gedächtnis rief die Ereignisse nahezu ungetrübt ab. Ian erinnerte sich an die frühmorgendlichen Bäder im Eiswasser, an die Spaziergänge im Garten, wo ihm ein Mann mit langem Spazierstock folgte. Der Schäfer hatte Ian ihn getauft, allzeit bereit, die Patienten notfalls zurück ins Haus zu prügeln.
Waren andere Mediziner oder namhafte Besucher zu Gast, pflegte Dr. Edwards einen seiner berühmten Vorträge zu halten, indes Ian auf einem Stuhl neben dem Podium sitzen musste. Dr. Edwards ließ ihn alle Namen aus dem Publikum lernen und auswendig aufsagen, dann musste er eine Unterhaltung zweier Freiwilliger Wort für Wort wiedergeben. Eine Tafel wurde hereingetragen, an der Ian in Sekundenschnelle komplexe mathematische Probleme zu lösen hatte. Dr. Edwards’ dressierter Seehund, so bezeichnete sich Ian damals selbst.
Wir haben es hier mit einem typischen Fall von Arroganz und Feindseligkeit zu tun. Sehen Sie, wie er den Blickkontakt meidet? Das zeigt deutlich den Mangel an Vertrauen und Ehrlichkeit. Achten Sie einmal darauf, wie seine Gedanken während des Gesprächs abschweifen, wie er durch unangebrachte Bemerkungen und Fragen, die nichts mit dem Gesprächsgegenstand zu
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