Kein Mann für jeden Tag: Roman (German Edition)
Lydia.
»Sofort!«
Ich greife nach dem Plastikhöschen.
»Himmel, Gilly, du brauchst dich doch vor mir nicht zu schämen«, entrüstet sich Nancy, als sie sieht, wie ich mich abmühe, meinen eigenen Slip unter dem Handtuch abzustreifen.
Ich setze die Badekappe auf.
»Was meinst du, sollte ich vielleicht so zum nächsten Date gehen?«, frage ich.
Ich werfe mich in eine sexy Pose, und zum ersten Mal in all den Jahren lachen wir gemeinsam.
Bis auf mein Plastikhöschen bin ich vollkommen nackt und stehe in einer winzigen Zelle. Lydia betätigt eine Maschine, und über meinen Körper beginnt etwas zu pusten, das sich wie der Luftstrom einer Klimaanlage anfühlt. Ich hebe erst einen Arm,dann den anderen, drehe und wende mich in alle Richtungen und fühle mich mehr und mehr wie in einem Gefängnis.
Ich schließe die Augen und denke an Jack. Ich freue mich darauf, ihn morgen Abend wiederzusehen. Dann wandern meine Gedanken zu Guy. Wie mag es wohl mit seiner Arbeit vorangehen? Ob er mich ebenso vermisst wie ich ihn? Immer wieder schleicht er sich in meine Gedanken ein.
»Ich möchte nicht allzu dunkel werden«, sage ich mit leiser Panik in der Stimme, als Lydia mich fragt, ob ich ein oder zwei Bräunungsschichten wünsche.
»Glauben Sie mir, Sie werden nur hübsch gesund aussehen. Man wird denken, Sie hätten Ferien in Saint Tropez gemacht.«
Mag schon sein, denke ich, aber was soll ich sagen? Es ist Mitte Oktober, und ich war in diesem Jahr bisher nirgendwo anders als im Ravenscourt Park.
*
Gegen Abend machen Nancy und ich uns frisch gezupft, manikürt, gepeelt und gebräunt auf den Weg nach Richmond. Ich möchte Tilda und Hannah noch einen Besuch abstatten.
»Tataaa!«, mache ich, als ich mich zu Nicholas geselle, der die Kinder gerade badet.
Mein Bruder lächelt. »Wow, sieht Tante Gilly nicht toll aus?«
»Du siehst aber komisch aus«, lacht Matilda, und Hannah schweigt.
»Ich war in Saint Tropez«, behaupte ich und setze mich auf den Rand der Badewanne.
Ich habe ein furchtbar schlechtes Gewissen, weil Nick sich das gesamte Wochenende um die Kinder kümmern musste, doch es stellt sich heraus, dass sich mein Gewissen ganz umsonst geregt hat. Er sagt, er habe einen herrlichen Tag verbracht.
»Sind die beiden nicht kleine Engel?«, fragt er und lässt geräuschvoll ein Spielzeugkrokodil zu Wasser.
»Es will mich fressen!«, schreit Tilda, zappelt und planscht wild herum.
»Es kann dich nicht fressen«, antwortet Hannah lapidar. »Es ist aus Plastik.«
»Daddy hat uns ein Krokodil gekauft, Tante Gilly«, erzählt Tilda.
Ich stecke meine Hände ins Wasser, greife nach dem Krokodil und tue so, als wolle ich mit ihm die Kinder jagen.
»Happs!«, rufe ich, ehe ich erschrocken nach Luft schnappe. »Oh, Scheiße!«
Hannah grinst bei meinem Fluch über das ganze Gesicht.
»Also ... ich meine, ich soll meine Hände eigentlich nicht nass machen, sonst werden sie nicht richtig braun.«
»Oh, scheiße!«, wiederholt Tilda entzückt.
»Das sagt man nicht, Matilda«, sagt mein Bruder mit fester Stimme. »Erzählt Tante Gilly lieber, was ihr heute sonst noch gemacht habt.«
»Wir waren auf dem Spielplatz«, berichtet Tilda.
»Dem am Princess Diana Memorial«, ergänzt Nick.
»Warum ist Mum eigentlich nicht mitgegangen?«, fragt Hannah ihren Dad, und an Nicks müdem Gesichtsausdruck kann ich ablesen, dass sie die Frage offenbar nicht das erste Mal stellt.
»Wann heiratest du, Tante Gilly?«, fragt Tilda.
»Sie heiratet gar nicht mehr«, antwortet Hannah. »Ihre Zeit ist vorbei.«
Ich sehe Nick an. Der Spruch stammt eindeutig von Nancy.
»Meine Zeit ist noch lange nicht vorbei, aber eure. Und wenn ihr jetzt nicht gleich aus dem Badewasser kommt, werdet ihr so schrumpelig wie Trockenpflaumen.«
Sie steigen aus der Wanne. Matilda ist aufgekratzt, aber ich wickle sie in ein weiches Badetuch. Hannah ist hingegen jetzt in dem Alter, in dem sie alles allein machen will.
»Ist mit Hannah alles in Ordnung, Nick?«, frage ich meinen Bruder, als wir schließlich allein in seinem Arbeitszimmer sitzen. »Sie kommt mir so ruhig vor.«
Er stützt den Kopf in die Hände.
»Ich fürchte, sie hat uns heute Morgen wieder streiten gehört. Neuerdings will sie auf ein Internat, aber ich glaube, dazu ist sie noch zu jung.«
»Vielleicht solltest du einfach mal mit ihr reden. Möglicherweise fühlt sie sich unsicher oder ...«
»Ich habe es ja schon versucht, aber ...«
»Du könntest einen Nachmittag mit ihr allein
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