Kein Öl, Moses
nämlich auf heimische Telefonnummern.
Der Rektor der Universität Jerusalem stellte in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Jury den Kandidaten die tiefschürfenden Fragen, die von einem eigens zu diesem Zweck einberufenen Komitee von Fachgelehrten in mehr als halbjähriger Arbeit zusammengestellt worden waren.
Die erste Frage, die durch die atemlose Stille des Auditoriums klang, lautete:
»Was ist die erste Nummer auf Seite 478, Haifa?«
Ing. Glanz, ein überlegenes Lächeln auf den Lippen, antwortete unverzüglich:
»Weinstock, Mosche, Tel-Chai-Straße 12, Nummer 40-572.«
Stürmisches Geraschel der Telefonbücher im Zuschauerraum, stürmischer Beifall, als sich die Richtigkeit der Antwort erwies. Im übrigen dienten die ersten Fragen lediglich dem Aufwärmen der Konkurrenten und wurden von den vier lebenden Nummernverzeichnissen mit der größten Leichtigkeit beantwortet. Nur als Towah auf die Frage des Rektors, wie viele Goldenblums im Telefonbuch von Tel Aviv enthalten wären, die Ziffer 6 angab, schien sich eine Sensation anzubahnen:
»Es tut mir leid«, sagte der Rektor, »ich sehe nur fünf.«
»Der sechste«, belehrte ihn Towah, »steht im Anhang. Goldenblum, Ephraim, Levi-Jitzchak-Straße 22, Nummer 27-916.«
Der Rektor griff nach dem Anhang, blätterte darin, legte ihn weg und ließ ein anerkennendes »Stimmt!« hören.
Meine Bewunderung wuchs von Minute zu Minute. Noch nie hatte ich so viel profundes Wissen auf so engem Raum versammelt gesehen. Da fiel es kaum ins Gewicht, daß Prof. Dr. Birnbaum die nächste Frage nicht beantworten konnte und daß der Dichter Tola'at-Shani erst im allerletzten Augenblick die richtige Antwort fand; die Frage hatte gelautet:
»Welche Nummer auf der Gordonstraße in Tel Aviv hat drei Nullen?«
Die Adern auf Tola'at-Shanis Stirn schwollen an und drohten zu platzen:
»Ich hab's!« rief er endlich. »Wechsler, Viola, Gesangslehrerin, 2-07-00!«
Zwar versagte Tola'at-Shanis Gedächtnis, als er nach Violas Hausnummer gefragt wurde, aber die Spielregeln sahen vor, daß Adressen in bestimmten Fällen nicht angegeben werden mußten. Tola'at-Shani bekam zwei Punkte und begeisterten Applaus.
Dann demonstrierte Towah ihre enorme Sachkenntnis in Fragen der Telefonbuch-Prosa.
»Merkspruch auf Seite 52, Jerusalem?«
»Richtig wählen erleichtert die Verbindung«, antwortete Towah mit unüberbietbarer Nonchalance.
Hingegen zeigte sich Ing. Glanz zur allgemeinen Überraschung außerstande, den Inserenten auf Seite 356, Tel Aviv, zu nennen. Jeder bessere Telefonbuch-Amateur hätte gewußt, daß es sich um die Papierhandlung Pfeffermann handelte.
Mit der Zeit machten sich bei allen vier Kandidaten leichte Abnützungserscheinungen bemerkbar. Prof. Dr. Birnbaums Zeitlimit lief ab, ehe ihm einfiel, welche Telefonnummer in der Mitte eine Ziffer hatte, die der Differenz zwischen den beiden ersten und den beiden letzten Ziffern entsprach. Er mußte ausscheiden. Seine Frage wurde nicht ohne Mühe von Ing. Glanz beantwortet:
»Gardosch, Schoschana, Tel Aviv, Seite 180, zweite Spalte, 29. Nummer von oben, 2-3-1-6-7.«
Das Publikum bereitete ihm eine donnernde Ovation. Auch ich klatschte mit, obwohl mich um diese Zeit ein erster skeptischer Gedanke beschlich:
»Bitte«, wandte ich mich an meinen Nebenmann, »wozu soll das eigentlich gut sein, jede Nummer im Telefonbuch auswendig zu wissen?«
Der Angesprochene schien peinlich berührt:
»Was meinen Sie - wozu das gut sein soll?«
»Mißverstehen Sie mich nicht, mein Herr, das Telefonbuch ist ein unentbehrliches Nachschlagewerk, das weiß ich sehr wohl. Ohne Telefonbuch können wir keinen einzigen Tag leben. Ich wäre der letzte, die Wichtigkeit dieses Buchs zu bestreiten. Aber wozu soll man es auswendig lernen, wenn man alles, was man wissen will, nachschlagen kann?«
»Und was, wenn Sie eines Tages in der Wüste sind und kein Telefonbuch haben?«
»Dann hätte ich ja auch kein Telefon.«
»Nehmen wir an, Sie hätten eines.«
»Dann würde ich die Auskunft anrufen.« »Pst! Ruhe!« klang es von mehreren Seiten. Andere Stimmen mischten sich ins Gespräch und bezeichneten meine Haltung als grundfalsch, respektlos und dumm. Ich mußte mir sagen lassen, daß die vier Geistesgiganten oben auf der Bühne hoch über der gewöhnlichen Masse stünden, daß sie schon in frühestem Kindesalter, echt jüdischem Brauchtum folgend, sich dem Studium eines jeden Buchstabens, einer jeden Ziffer, eines jeden Druckfehlers gewidmet
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