Kein Öl, Moses
Atelier im obersten Stockwerk unseres Hauses gemietet, obwohl ich dafür einen Bankkredit aufnehmen mußte.«
»Atelier? Was für ein Atelier?«
»Meines. Der umgebaute Balkon war zweifellos eine große Hilfe, aber es blieben immer noch ein paar kleinere Reibungsflächen übrig. Etwa das gemeinsame Badezimmer. Oder unsere Kleiderablage. Oder unsere Gespräche. Als Ciarisse in Erfahrung brachte, daß oben ein Atelier frei würde, war unser Entschluß sogleich gefaßt, und eine Woche später übersiedelte ich hinauf. Sie können sich nicht vorstellen, wie gut das unserer Ehe getan hat. Am Morgen brauchten wir einander nicht mehr mit gelangweilten Gesichtern gegenüberzusitzen, ich konnte Radieschen essen, soviel ich wollte, die Post wurde uns gesondert zugestellt -«
»Wie das?«
»Ciarisse hatte wieder ihren Mädchennamen angenommen. Damit begann eine der glücklichsten Perioden unserer Ehe. Aber nichts ist so gut, daß es sich nicht verbessern ließe. Nach wie vor mußte ich damit rechnen, meiner Frau im Stiegenhaus zu begegnen, wenn weder sie noch ich für ein solches Zusammentreffen in der richtigen psychologischen Verfassung wären. Auch der Lärm der Kinder könnte mich stören. Deshalb beschlossen wir meine Übersiedlung ans andere Ende der Stadt.«
»Und das hatte keine nachteiligen Auswirkungen auf Ihr Eheleben?«
»Sie meinen... «
»Ja.«
»Nun, schließlich gibt es ja noch Hotels. Auch im Kino begegneten wir einander dann und wann oder auf der Straße. Bei jeder solchen Gelegenheit winkten wir einander freundlich zu. Und was die Hauptsache war: Es bestanden keine Spannungen mehr zwischen uns. Darüber waren wir für alle Zeiten hinaus. Der einzige vielleicht noch mögliche Streitpunkt hätte sich im Zusammenhang mit den Kindern ergeben können. Aber auch hier fanden wir einen Ausweg. Als ich meinen Wohnsitz nach Jerusalem verlegte, nahm ich meinen Buben mit mir, und das Mädchen blieb bei Ciarisse. Ich kann Ihnen versichern, daß sich dieses Arrangement hervorragend bewährt hat.«
»Und Ihre Frau ist mit alledem zufrieden?«
»Sie ist entzückt. Die letzte Ansichtskarte, die sie mir im Sommer schrieb, war von echter Herzlichkeit getragen. Wir sind stolz, daß es uns gelungen ist, die Probleme unseres täglichen Zusammenlebens mit den Mitteln der Vernunft und des guten Willens aus der Welt zu schaffen. Deshalb möchte ich Ihnen einen Rat geben, meine Freunde: Bevor Sie mit der Idee einer Scheidung zu spielen beginnen, bevor Sie erwägen, aus dem Hafen der Ehe auszulaufen oder an irgendeine andere mondäne Lösung denken, sollten Sie eine gemeinsame Anstrengung unternehmen, die kleinen, unwesentlichen Schwierigkeiten, mit denen Sie es zu tun haben, im gegenseitigen Einverständnis zu beseitigen. Dann werden Sie eine ebenso glückliche Ehe führen wie ich.«
Gustav Schlesinger lehnte sich in seinen Sessel zurück und bot sich nicht ohne Selbstgefälligkeit unseren neidischen Blicken dar.
»Trotzdem«, sagte Ingenieur Glick. »Ich bleibe dabei, daß es mit dem ehelichen Zusammenleben in unserer Zeit nicht mehr richtig funktioniert. Ihr Fall ist eine Ausnahme.«
Koexistenz mit Ameisen
Die Ameise zählt zu den intelligentesten unter Gottes Insekten. Aber was heißt das: »die« Ameise? Es gibt ja nicht nur eine. Es gibt ihrer 1000000000000000 oder noch etwas mehr. Abzüglich der drei, die wir gestern in der Küche umgebracht haben. Der Rest hat sich neu gruppiert, denn ebenerdige Wohnungen haben einen Vorteil und einen Nachteil. Der Vorteil: daß man keine Stiegen steigen muß. Der Nachteil: daß auch die Ameisen keine Stiegen steigen müssen.
In diesem Sinne überschreitet Mögen für Morgen eine Armee von Ameisen unsere Schwelle, kriecht die Küchenwand hinauf, bis sie den Brotkorb erreicht hat, und verteilt sich über die Abwaschbecken. Von diesen Ausgangspositionen beginnt ein nimmermüdes Kommen und Gehen, das den ganzen Tag lang anhält, zweifellos nach einem wohldurchdachten System, von dem wir aber nichts weiter zu sehen bekommen als die Ameisen. Und heuer ist ein besonders ameisenreicher Sommer.
»Nur ein paar von ihnen zu erschlagen, hilft nichts«, entschied die beste Ehefrau von allen. »Man muß das Nest aufspüren.«
Wir verfolgten die Prozession in entgegengesetzter Richtung; sie führte in den Garten, verschwand kurzfristig unterm Gesträuch, kam wieder an die Oberfläche und verlief im Zickzack nach Norden.
An der Stadtgrenze hielten wir inne.
»Sie kommen von auswärts.«
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