Kein Opfer ist vergessen
Muster gibt, verrät doch schon einiges, oder nicht?«
Ich beugte mich vor. »Was?«
»Anfangs ging es den Hintermännern nur darum, Unschuldigen ein Bein zu stellen und ihre eigene Karriere zu fördern. Inzwischen lassen sie sich anheuern.«
»Sie meinen, sie tun es für Geld?«
»Oder für einen Gefallen. So oder so, sie lassen sich kaufen.«
»Wer gehört dazu?«, fragte Havens.
Z nahm den Ordner vom Schreibtisch, stellte ihn auf ihren Schoß und suchte in den Fächern. Diesmal brachte sie den Artikel einer Chicagoer Zeitschrift zum Vorschein, in dem es um das Trefferkommando zu seinen besten Zeiten ging. Mit einem rot lackierten Fingernagel tippte sie auf das Foto einer Frau, die aussah wie die böse Hexe des Westens, und das war noch geschmeichelt. Ihr Name war Sally Finn.
»Wir wissen, wer Sally Finn ist«, sagte ich.
Z nickte anerkennend. »Fabelhaft. Sie kriegen beide eine Eins. Finn war das dritte Kernmitglied des Trefferkommandos, blieb jedoch unauffällig. Sie ist die Einzige der Gruppe, die noch lebt.«
»Sie ist im Ruhestand«, sagte ich. »Mittlerweile dürfte sie weit über siebzig sein.«
»Sally Finn ist klüger als jeder hier in diesem Raum. Und das schließt Sie ein, Mr Havens. Abgesehen davon ist sie ein giftiges, eiskaltes Aas. Ich kann es zwar nicht beschwören, aber auf irgendeine Weise mischt sie mit.«
»Wo wohnt sie?«, fragte Havens.
»Seit ihrer Pensionierung hat sie sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen.«
»Aber Sie können sich denken, wo sie wohnt, denn sonst hätten Sie sie gar nicht erwähnt.«
Z nahm einen Stift und einen Zettel und schrieb die Adresse auf. »Sie lebt allein. Hat nie geheiratet. Kinder hat sie auch nicht. Das hier ist die letzte Adresse, die mir bekannt ist. In Michigan, anderthalb Stunden von hier.«
»Waren Sie schon mal da?«, fragte ich.
»Ich weiß niemanden, der schon mal da war«, sagte Z. »Würden Sie Sally Finn kennen, wäre Ihnen klar, warum.«
DREIUNDVIERZIG
Keiner sprach es aus, aber wir spürten es beide. Wir mussten Antworten finden, um jeden Preis, und das, bevor uns das Vergangene einholte und wir in irgendeiner Zelle landeten. Oder man uns einfach umbrachte. Oder alles zusammen. Deshalb machten wir weiter, zahlten die Mautgebühr für die Indiana und rasten Richtung Michigan, im Rückspiegel der Geist von Marty Coursey.
Finn wohnte in einem kleinen, baumbestandenen Gebiet nördlich von Bridgman. Ihr Haus stand auf einer Klippe mit Blick über den Lake Michigan. Jake parkte seinen Wagen in einer Meile Entfernung. Wir gingen hinunter zum Strand, um uns das Haus von dort aus zu besehen.
»Was glaubst du, wie viel die Hütte wert ist?«, fragte Havens.
Es war ein altes Haus, dessen ehemals weiße Fassade dank Wind und Wetter grau geworden war. Ein einsamer Turm stach in den Himmel, eine Treppe wand sich hinunter zum leeren Strand. Eine Anlegestelle ragte ins Wasser hinaus, an deren Ende ein sechs Meter langer Whaler vertäut lag.
»Egal, wie viel es wert ist«, sagte ich. »Sie konnte es sich offenbar leisten. Komm, lass uns die Sache bereden.«
Nach einer Viertelmeile fanden wir eine passende Stelle und setzten uns auf den Sand. Dann und wann brach die Sonne unter der Wolkendecke hervor. Der frische Wind roch nach Regen. Ich schaute über die Wellen und erkannte im leichten Dunst auf der anderen Uferseite die Skyline von Chicago.
»Also«, begann Havens. »Was sollen wir jetzt machen?«
»Wir gehen in das Haus.«
Er schnaubte und schleuderte einen Stein ins Wasser. »Einfach so?«
»Was meinst du, hat Finn etwas mit der Sache zu tun?«, fragte ich.
»Sarah geht fest davon aus. Z auch.«
»Z vermutet es offenbar«, sagte ich.
»Oder sie lügt.«
»Ich glaube nicht, dass Finn noch immer in Chicago mitmischt.«
»Und warum sind wir dann hier?«
»Weil sie die Einzige ist, die aus der ursprünglichen Gruppe übrig ist. Vielleicht weiß sie, wie es nach der Auflösung des Kommandos weitergegangen ist. Könnte doch sein, dass sie bereit ist, darüber zu reden.«
Havens raffte den nächsten Stein auf. Diesmal zielte er auf eine Möwe, die uns von einem Stück Treibholz her anstarrte. »Darf ich raten? Du willst zu dem Haus hochlaufen und an der Vordertür klopfen.«
»Ich dachte eher an die Hintertür. Oder ein geöffnetes Fenster.«
»So was nennt man Einbruch, Joyce.«
»Dann mal los.«
Wir kletterten die Treppe hoch. Oben angekommen, suchten wir hinter den Bäumen Schutz, die das Grundstück säumten, und wagten
Weitere Kostenlose Bücher