Kein Ort ohne dich: Roman (German Edition)
nachgrübelte, fragte sie sich zum ersten Mal, was eigentlich genau bei seiner ersten Begegnung mit Big Ugly Critter passiert war. Luke hatte ihr zwar von der Metallplatte in seinem Kopf erzählt, aber mittlerweile ahnte sie, dass noch einiges mehr dahintersteckte. Zögernd kroch sie aus dem Bett und setzte sich an den Laptop auf ihrem Schreibtisch. Hin- und hergerissen zwischen böser Vorahnung und dem Drang, endlich alles zu erfahren, tippte sie seinen Namen in die Suchmaschine.
Sie war nicht überrascht, dass sie eine ganze Reihe von Treffern erhielt, einschließlich eines kurzen Wikipedia-Eintrags. Immerhin war er einer der erfolgreichsten Bullenreiter der Welt gewesen. Für seinen Lebenslauf interessierte sie sich aber nicht. Vielmehr fügte sie die Worte Big Ugly Critter zu seinem Namen und klickte auf den Suchknopf.
Sofort erschien ein Link zu einem YouTube-Video. Ehe der Mut sie verlassen konnte, klickte sie ihn an und wartete nervös ab, bis die Maske sich geöffnet hatte.
Das Video dauerte knapp zwei Minuten, und Sophia entdeckte mit einem unguten Gefühl, dass es schon mehr als eine halbe Million Mal abgespielt worden war. Sie war sich nicht ganz sicher, ob sie es wirklich sehen wollte, klickte aber trotzdem auf Wiedergabe. Sie brauchte nur eine Sekunde, um Luke in der Startbox auf dem Bullen zu erkennen. Die Kamera filmte ihn von oben, offenbar für das Fernsehpublikum. Die Zuschauertribüne war bis auf den letzten Platz besetzt, und hinter der Box hingen Schilder und Werbeplakate. Im Gegensatz zu McLeansville war es eine überdachte Arena, wahrscheinlich eine Allzweckhalle für diverse Veranstaltungen von Basketballspielen bis hin zu Konzerten. Luke trug Jeans und ein kurzärmeliges rotes Hemd unter einer Schutzweste, dazu seinen Hut. Auf seinem Rücken hing die Startnummer 16.
Sophia sah ihn die Halteschlinge zurechtschieben, während andere Cowboys das Seil unter dem Bullen straff zo gen. Er schlug sich auf die Faust, dann klemmte er die Beine zusammen und setzte sich noch etwas um. Untermalt wurden diese Vorbereitungen von den Stadionsprechern, die das Geschehen stark näselnd kommentierten.
»Luke Collins war Dritter der PBR und gilt als einer der weltbesten Rodeoreiter, aber diesen Bullen hier hat er noch nie geritten.«
»Und das ist wirklich eine Herausforderung, Clint. Erst zwei Reitern ist es bisher gelungen, auf Big Ugly Critter über die Zeit zu kommen, und im vergangenen Jahr war er Bulle des Jahres. Er ist stark und bösartig, und wenn sich Luke nicht abwerfen lässt, kann er auf jeden Fall mit einer Wertung von über neunzig rechnen.«
»Er macht sich bereit ...«
Inzwischen war Luke seltsam regungslos geworden, doch diese Pause dauerte nur einen Moment. Das Gatter schwang auf, und man hörte das Johlen des Publikums.
Der Bulle stürmte heftig los, den Kopf tief gesenkt, die Hinterbeine fast senkrecht in die Luft gestreckt. Er machte eine halbe Drehung nach links, keilte erneut kräftig aus, sprang dann mit allen vieren gleichzeitig in die Luft und warf sich ohne jede Vorwarnung in die entgegengesetzte Richtung.
Mittlerweile waren vier Sekunden vergangen, und Sophia hörte die Menge auf der Tribüne ausrasten.
»Er schafft es!« , brüllte einer der Sprecher.
Da kam Luke kurz aus dem Gleichgewicht und kippte nach vorn, genau in dem Moment, als der Schädel des Bullen rückwärts schnellte.
Der Aufprall war entsetzlich. Lukes Kopf flog nach hinten, als habe er überhaupt keine Muskeln im Hals.
»Du lieber Himmel! «
Plötzlich wurde Luke ganz schlaff und stürzte von dem Bullen, die Hand noch in die Halteschlinge gewickelt.
Doch das Tier schien wahnsinnig vor Zorn, völlig entfesselt, und schlug weiter erbarmungslos und mit aller Kraft aus. Luke hüpfte auf und ab wie eine Puppe und wurde hilflos in alle Richtungen geschleudert. Als der sich Bulle erneut um die eigene Achse zu drehen begann, schleifte er Luke mit sich, sodass seine Füße wie ein Kreisel über den Boden streiften.
Inzwischen waren Rodeo-Clowns und andere Männer in die Arena gesprungen und versuchten verzweifelt, Lukes Hand zu befreien, aber der Bulle blieb einfach nicht stehen. Er hörte auf, sich zu drehen, und ging auf die neuen Eindringlinge los, schwang wild die Hörner und schleuderte einen Rodeo-Clown zur Seite, als wiege dieser überhaupt nichts. Ein weiterer Helfer probierte vergeblich, die Seilschlinge zu öffnen. Noch einige Sekunden verstrichen, ehe es endlich jemandem gelang, hochzuspringen
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