Kein Ort ohne dich: Roman (German Edition)
Also marschierte ich eines Tages ein fach zu dir ins Geschäft und sagte, ich müsse mit dir reden. Und weißt du noch, was du geantwortet hast?«
Von allem, was ich je in meinem Leben gesagt habe, bereue ich diese Worte am meisten. Ruth wartet, den Blick unverwandt auf mein Gesicht geheftet. In ihrer Miene liegt etwas unerbittlich Herausforderndes.
»Ich habe geantwortet, die Verlobung sei gelöst und es sei vorbei mit uns.«
Sie zieht eine Augenbraue hoch. »Ja, das hast du gesagt.«
»Ich konnte in dem Moment einfach nicht mit dir reden, ich war ...«
Als ich den Satz abbreche, beendet sie ihn für mich. »Wütend.« Wieder nickt sie. »Das sah ich in deinen Augen, aber selbst da wusste ich, dass du mich noch liebtest.«
»Ja. Das stimmt.«
»Trotzdem haben deine Worte mich verletzt«, sagt sie. »Ich ging nach Hause und weinte wie zuletzt als Kind. Und irgendwann kam meine Mutter herein und hielt mich im Arm, und keine von uns beiden wusste, was zu tun war. Ich hatte schon so viel verloren. Dich auch noch zu verlieren, konnte ich nicht ertragen.«
Damit meint sie ihre Verwandten, jene, die in Wien geblieben waren. Damals war mir nicht bewusst, wie selbstsüchtig mein Handeln war oder wie Ruth es empfinden musste. Auch diese Erinnerung konnte ich nie abstreifen, und jetzt im Auto spüre ich die uralte Scham.
Ruth, mein Traum, weiß, was ich fühle. Als sie nun spricht, liegt wieder Zärtlichkeit in ihren Worten.
»Aber wenn es wirklich vorbei sein sollte, wollte ich es wenigstens verstehen, also ging ich am nächsten Tag in den Laden gegenüber von eurem Geschäft und bestellte mir einen Schoko-Soda-Eisbecher. Ich setzte mich ans Fenster und beobachtete dich bei der Arbeit. Ich wusste, dass du mich sehen konntest, aber du kamst nicht zu mir. Deshalb ging ich am nächsten Tag wieder hin und am übernächsten auch, und dann erst kamst du über die Straße zu mir.«
»Meine Mutter hatte mich geschickt«, gestehe ich. »Sie meinte, du hättest das Recht auf eine Erklärung.«
»Das hast du schon immer behauptet. Aber ich glaube, du wolltest auch kommen, weil du mich vermisst hast. Und weil du wusstest, dass nur ich dir helfen konnte, deinen Schmerz zu überwinden.«
Bei diesen Worten schließe ich die Augen. Sie hat natürlich recht, mit allem. Ruth kannte mich immer besser als ich mich selbst.
»Ich setzte mich dir gegenüber«, sage ich. »Und einen Moment später wurde mir ein Schoko-Soda-Eisbecher serviert.«
»Du warst doch so dünn. Ich dachte, du bräuchtest meine Hilfe, um wieder zuzunehmen. So wie du warst, als wir uns kennenlernten.«
»Ich war aber nie besonders dick«, sage ich. »Bei der Musterung brachte ich kaum genug Gewicht auf die Waage.«
»Ja, aber als du zurückkamst, warst du nur noch Haut und Knochen. Dein Anzug hing an dir, als sei er zwei Nummern zu groß. Ich dachte, du würdest weggeweht, als du über die Straße liefst, und ich fragte mich, ob du wohl jemals wieder du selbst würdest. Ob du jemals wieder der Mann sein würdest, in den ich mich verliebt hatte.«
»Und trotzdem hast du mir noch eine Chance gegeben.«
Sie zuckt die Achseln. »Es blieb mir ja nichts anderes übrig«, sagt sie mit funkelnden Augen. »David Epstein war inzwischen verheiratet.«
Ich muss lachen, und mein Körper verkrampft sich, die Neuronen lodern, Übelkeit steigt auf. Ich atme durch zusammengebissene Zähne und spüre, wie der Anfall abklingt.
Ruth wartet, bis mein Atem wieder gleichmäßig geht, dann fährt sie fort: »Ich muss zugeben, dass mir das Angst gemacht hat. Ich wollte, dass es zwischen uns wieder so wird wie vorher, also tat ich einfach, als hätte sich nichts geändert. Ich plauderte über das College und meine Freundinnen und wie viel ich gelernt hatte und dass meine Eltern überraschend zu meiner Abschlussfeier gekommen waren. Ich sprach über meine Arbeit als Vertretungslehrerin in einer Schule nahe der Synagoge, erwähnte aber auch, dass ich ein Vorstellungsgespräch für eine Vollzeitstelle ab Herbst an einer Grundschule am Stadtrand hatte. Außerdem erzählte ich dir, dass sich mein Vater zum dritten Mal mit dem Dekan des Instituts für Kunstgeschichte in Duke traf und dass meine Eltern vielleicht nach Durham ziehen würden. Und dann überlegte ich laut, ob ich meine neue Stelle gleich wieder aufgeben und auch nach Durham ziehen müsse.«
»Und plötzlich war mir klar, ich wollte nicht, dass du gehst.«
»Deshalb hatte ich es ja gesagt.« Sie lächelt. »Ich wollte
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