Kein Ort ohne dich: Roman (German Edition)
spülen.«
»Das war das Mindeste, was ich tun konnte. Bis heute war dieses Essen das Beste, was ich je gegessen habe.«
»Es war gut, stimmt«, erinnert sich Ruth. »Meine Mutter hatte an diesem Tag einen Straßenstand mit frischem Gemüse entdeckt, und sie hatte Brot gebacken. Und mein Vater erwies sich am Grill als Naturtalent.«
»Nach dem Spülen machten wir einen Spaziergang.«
»Ja«, sagt sie. »Du warst sehr verwegen an jenem Abend.«
»Das war nicht verwegen. Ich habe nur um eine Flasche Wein und zwei Gläser gebeten.«
»Schon, aber das war neu für dich. Diese Seite hatte meine Mutter an dir noch nie erlebt. Es machte sie ner vös.«
»Wir waren immerhin erwachsen.«
»Genau das war das Problem. Du warst ein Mann, und sie wusste, dass Männer Bedürfnisse haben.«
»Und Frauen nicht?«
»Doch, natürlich. Im Gegensatz zu Männern werden Frauen allerdings nicht von ihren Bedürfnissen beherrscht. Frauen sind zivilisiert.«
»Hat dir deine Mutter das beigebracht?« Meine Stimme klingt skeptisch.
»Dazu brauchte ich meine Mutter nicht. Mir war sonnenklar, was du wolltest. Deine Augen waren voller Lust.«
»Wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt«, sage ich steif, »war ich an dem Abend ein perfekter Gentleman.«
»Das stimmt. Trotzdem war es aufregend für mich, dich dabei zu beobachten, wie du deine Triebe zu kontrollieren versuchtest. Besonders, als du deine Jacke im Sand ausgebreitet hast und wir uns daraufsetzten und den Wein tranken. Das Meer schien das Mondlicht aufzusaugen, und ich spürte, dass du mich begehrst, auch wenn du dich bemüht hast, es nicht zu zeigen. Du hast den Arm um mich gelegt, und wir redeten und küssten uns und redeten weiter, und ich war ein bisschen beschwipst ...«
»Und es war großartig.«
»Ja. Es war großartig.« Ihr Gesichtsausdruck ist etwas wehmütig. »Ich wusste, dass ich dich heiraten wollte, und war mir absolut sicher, dass wir immer glücklich miteinander wären.«
Mir ist bewusst, woran sie in dem Moment dachte. »Du hattest damals noch die Hoffnung, der Arzt könne sich geirrt haben.«
»Ich glaube, ich sagte, alles liege in Gottes Hand.«
»Das ist doch das Gleiche, oder?«
»Vielleicht«, gibt sie zurück, dann schüttelt sie den Kopf. »Ich weiß auf jeden Fall, dass ich an dem Abend das Gefühl hatte, Gott gäbe mir zu verstehen, dass ich das Richtige tat.«
»Und dann haben wir die Sternschnuppe gesehen.«
»Sie rauschte über den ganzen Himmel hinweg.« Immer noch liegt ein Staunen in ihrer Stimme. »Es war das erste Mal, dass ich eine sah.«
»Und ich habe dir gesagt, du sollst dir etwas wünschen.«
»Das habe ich getan.« Sie sieht mir in die Augen. »Und mein Wunsch ging schon wenige Stunden später in Erfüllung.«
O bwohl es bereits spät war, als Ruth und ich zum Haus zurückkamen, war ihre Mutter noch wach. Sie saß am Fenster und las, und sobald wir durch die Tür traten, musterte sie uns von Kopf bis Fuß, auf der Suche nach einem offenen Knopf oder einem nicht ordentlich in der Hose steckenden Hemdzipfel, nach Sand in den Haaren. Ihre Erleichterung war unübersehbar, als sie aufstand, um uns zu begrüßen, auch wenn sie sich große Mühe gab, dies zu verbergen.
Sie plauderte mit Ruth, während ich meinen Koffer aus dem Auto holte. Wie viele der Häuschen an jenem Strandabschnitt bestand auch dieses aus zwei Ebenen. Ruth und ihre Eltern bewohnten Zimmer im Souterrain, ich wurde von Ruths Mutter in einen Raum gebracht, der im Erdgeschoss direkt von der Küche abging. Wir drei standen noch ein paar Minuten zusammen, dann begann Ruth zu gähnen. Auch ihre Mutter gähnte und kündigte damit das Ende des Abends an. Ruth küsste mich nicht vor ihrer Mutter – das hatten wir damals noch nie getan –, und nachdem sie gegangen war, verabschiedete sich auch ihre Mutter bald.
Ich schaltete das Licht aus, setzte ich mich auf die Veranda und genoss den Anblick des vom Mond beschienenen Wassers und die Brise in meinen Haaren. Ich blieb noch lange sitzen, es wurde kühler, und meine Gedanken schweiften von Ruth und mir zu Joe Torrey und schließlich zu meinen Eltern.
Ich versuchte, mir meinen Vater und meine Mutter an einem solchen Ort vorzustellen, aber es gelang mir nicht. Wir hatten nicht ein einziges Mal Urlaub gemacht, da wir durch das Geschäft immer angebunden gewesen waren, doch selbst wenn es möglich gewesen wäre, hätte es niemals so wie hier stattgefunden. Ich konnte mir meinen Vater genauso wenig mit einem Weinglas
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