Kein Ort ohne dich: Roman (German Edition)
ausgestreckt und eine einigermaßen bequeme Position gefunden hatte, stand bereits der Teller vor ihm. Seine Mutter holte noch die Kaffeekanne, dann setzte sie sich neben ihn. Die Portion auf ihrem Teller war genau halb so groß wie die auf seinem.
»Ich nahm an, dass du erst spät gekommen bist, deshalb habe ich heute Morgen schon die Tiere gefüttert und nach den Rindern gesehen.«
Dass sie nicht zugab, auf ihn gewartet zu haben, überraschte ihn nicht.
»Danke«, sagte er. »Wie viele Leute waren denn gestern hier?«
»Ungefähr zweihundert, aber am Nachmittag hat es ein bisschen geregnet, also werden es heute wahrscheinlich mehr werden.«
»Muss ich Nachschub holen?«
Sie nickte. »José hat schon einiges erledigt, bevor er nach Hause gefahren ist, aber vermutlich brauchen wir noch ein paar Kürbisse.«
Schweigend aß Luke ein paar Bissen. »Ich wurde abgeworfen«, sagte er. »So hab ich mir das Knie verletzt. Ich bin falsch aufgekommen.«
Sie tippte mit der Gabel an ihren Teller. »Ich weiß.«
»Woher denn?«
»Liz, die Frau, die im Büro der Arena arbeitet, hat mich angerufen und mir von deinen Ritten erzählt. Wir kennen uns schon lange, das weißt du doch.«
Damit hatte er nicht gerechnet und wusste nicht, wie er reagieren sollte. Er spießte ein Stück Wurst auf, kaute und wechselte das Thema.
»Ich hatte doch Bescheid gesagt, dass Sophia heute kommt, oder?«
»Zum Abendessen«, sagte sie. »Ich dachte an einen Blaubeerkuchen zum Nachtisch.«
»Du brauchst nicht auch noch zu backen.«
»Hab ich schon.« Mit der Gabel deutete sie in die Ecke. Unter den Hängeschränken entdeckte er ihre Lieblingskeramikform, an deren Seiten sich dunkle Saftrinnsale eingebrannt hatten.
»Wann hast du den denn gemacht?«
»Gestern Abend, nachdem die letzten Kunden weg waren. Soll ich einen Eintopf kochen?«
»Nein danke. Ich dachte, ich grille ein paar Steaks.«
»Dann also Kartoffelbrei. Und grüne Bohnen. Einen Salat mache ich auch noch.«
»Das ist doch nicht nötig.«
»Und ob! Sie ist ein Gast. Außerdem habe ich deinen Kartoffelbrei mal probiert, und wenn du willst, dass sie wiederkommt, übernehme ich das lieber.«
Er grinste. Erst in dem Moment fiel ihm auf, dass sie nicht nur gebacken, sondern auch die Küche aufgeräumt hatte. Wahrscheinlich das ganze Haus.
»Danke«, sagte er. »Aber sei nicht zu streng mit ihr.«
»Ich bin zu niemandem streng. Und sitz gefälligst gerade, wenn du mit mir sprichst.«
Er lachte. »Verstehe ich das richtig, dass du mir endlich verziehen hast?«
»Überhaupt nicht. Ich bin immer noch wütend, dass du diese Wettbewerbe geritten bist, aber ich kann ja nichts daran ändern. Außerdem ist die Saison vorbei. Bis Januar bist du hoffentlich wieder zur Vernunft gekommen.«
Darauf erwiderte er nichts, um keinen Streit anzufangen. »Sophia wird dir gefallen«, sagte er stattdessen.
»Das würde mich freuen. Immerhin ist sie die erste Frau, die du hierher eingeladen hast.«
»Angie war früher oft hier.«
»Sie ist jetzt mit jemand anderem verheiratet. Außerdem wart ihr da noch Kinder. Das zählt nicht.«
»Ich war kein Kind. Ich war in der zwölften Klasse.«
»Ein und dasselbe.«
Er schnitt noch ein Stück Pancake ab und ließ es im Ahornsirup kreisen. »Auch wenn ich nicht deiner Meinung bin, ich bin froh, dass wir wieder miteinander reden.«
Seine Mutter spießte ein Stück Ei auf. »Ich auch.«
F ür Luke entwickelte sich der Rest des Tages eigenartig. Normalerweise fing er gleich nach dem Frühstück an zu arbeiten und bemühte sich, die unterschiedlichen Aufgaben auf seiner langen Liste je nach Dringlichkeit abzuhaken. Manches duldete keinen Aufschub, zum Beispiel Kürbisse ernten, bevor die ersten Kunden kamen, oder sich um ein verletztes Tier kümmern.
Im Normalfall verging der Vormittag schnell. Er nahm sich ein Projekt nach dem anderen vor, und ehe er sich’s versah, war es Zeit für ein hastiges Mittagessen. Das Gleiche galt für den Nachmittag. Meistens kam er erst nach Hause, wenn das Abendessen schon auf dem Tisch stand, und war frustriert, weil er mit irgendetwas nicht ganz fertig geworden war.
Dieser Tag hätte genauso verlaufen müssen, denn wie seine Mutter prophezeit hatte, war noch mehr los als am Samstag. Kleinwagen und Pick-ups und Minivans säumten die Auffahrt bis fast zur Hauptstraße zurück, und überall rannten Kinder herum. Trotz seines immer noch schmerzenden Knies schleppte Luke Kürbisse, half Eltern, ihren Nachwuchs im
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