Kein Ort ohne dich: Roman (German Edition)
verletzt. Oder er.«
»Ich bin doch nur zum Essen eingeladen«, protestierte Sophia. »Du übertreibst maßlos.«
Marcia steckte sich die letzte Rosine in den Mund. »Wenn du meinst ...«
M anchmal hasste Sophia ihre Mitbewohnerin. Zum Beispiel jetzt, als sie zur Ranch fuhr. Die letzten drei Tage hatte sie gute Laune gehabt, hatte sogar das Footballspiel und die Party am Freitagabend genossen. An diesem Vormittag hatte sie einen großen Teil der Hausarbeit für ihren Renaissance-Kurs geschafft, die sie erst am Dienstag abgeben musste. Alles in allem ein hervorragendes Wochenende, und dann, gerade als sie sich auf einen schönen Abschluss vorbereitete, musste Marcia den Mund aufmachen und ihr all diese hirnrissigen Gedanken in den Kopf stecken. Doch eines war klar, sie tröstete sich nicht über Brian hinweg.
Oder?
Nun, es war so: Sie hatte die Trennung von Brian nicht nur verwunden, sondern sie war froh, ihn los zu sein. Seit dem letzten Frühjahr hatte sie sich in dieser Beziehung gefühlt wie Jacob Marley, der Geist in Dickens’ Weihnachtsgeschichte, der in alle Ewigkeit die Ketten mit sich herumtragen muss, die er im Leben geschmiedet hat. Als Brian sie damals zum zweiten Mal betrog, hatte sich ein Teil von ihr schon emotional verabschiedet, auch wenn sie sich nicht sofort von ihm trennte. Sie liebte ihn immer noch, aber nicht mehr auf dieselbe blinde, unschuldige, alles beherrschende Art. Eigentlich hatte sie geahnt, dass er sich nicht ändern würde, und dieses Gefühl hatte sich den Sommer über nur noch verstärkt. Und letzten Endes hatte sich ihr Instinkt als richtig erwiesen. Als sie sich schließlich trennten, kam es Sophia vor, als wäre es schon lange vorbei gewesen.
Und ja, sie gab zu, dass sie darunter gelitten hatte. Das war doch wohl ganz normal? Nach fast zwei Jahren Beziehung wäre es doch merkwürdig, wenn es ihr gar nichts ausgemacht hätte. Viel stärker hatte ihr allerdings zugesetzt, wie Brian sich danach verhielt: die Anrufe, die SMS , das Verfolgen. Warum verstand Marcia das nicht?
Zufrieden, dass sie alles mit sich geklärt hatte, nahm So phia die Ausfahrt, die zur Ranch führte. Sie fühlte sich schon etwas besser. Marcia wusste nicht, wovon sie sprach. Es ging ihr gut, und sie war emotional nicht angeschlagen. Luke war ein netter Mann, und sie waren dabei, sich kennenzulernen. Sie würde sich nicht gleich in ihn verlieben. Der Gedanke war ihr noch nicht gekommen.
Oder?
A ls Sophia auf das Gelände der Ranch einbog, war sie immer noch damit beschäftigt, die lästige Stimme ihrer Mitbewohnerin in ihrem Kopf zum Schweigen zu bringen. Sie wusste nicht, ob sie vor Lukes Haus parken oder gleich zu dem seiner Mutter fahren sollte. Es wurde bereits dunkel, und dünne Nebelschleier waren herangeweht. Trotz der Scheinwerfer musste sie sich nach vorn beugen, um den Weg vor sich zu erkennen. Gerade überlegte sie, ob Hund vielleicht auftauchen und ihr die Richtung weisen würde, da spazierte er auf Höhe der Abzweigung auf die Straße.
Den Rest des Wegs trottete Hund vor ihrem Wagen her und blickte sich ab und zu um, bis sie bei Lukes Bungalow ankamen. Sophia bremste und parkte an derselben Stelle wie beim letzten Mal. Drinnen brannte Licht, und durchs Fenster sah sie Luke in der Küche stehen. Als sie den Motor abgestellt hatte und ausgestiegen war, trat er schon von der Veranda und kam auf sie zu. Er trug Jeans und Stiefel und ein weißes Hemd, dessen Ärmel er bis zu den Ellbogen hochgekrempelt hatte, aber von seinem Hut war nichts zu sehen. Sophia atmete tief durch, um sich zu beruhigen, und wünschte sich wieder, sie hätte nicht mit Marcia gesprochen. Trotz der Dunkelheit merkte sie, dass er lächelte.
»Hallo.« Er küsste sie, und sie roch einen Hauch von Shampoo und Seife. Es war nur ein kurzer Begrüßungskuss, aber irgendwie musste er ihr Zögern gespürt haben.
»Du hast irgendetwas«, stellte er fest.
»Nein, nein, alles okay«, wehrte sie ab. Sie lächelte kurz, doch es fiel ihr schwer, ihn anzusehen.
Er schwieg für einen Moment, dann nickte er. »Also gut. Ich freue mich, dass du hier bist.«
Obwohl er sie fest ansah, konnte sie nicht erraten, was er dachte. »Ich mich auch.«
Er machte einen kleinen Schritt rückwärts und steckte eine Hand in die Hosentasche. »Hast du deine Hausarbeit fertig?«
Der Abstand zwischen ihnen erleichterte Sophia das Denken.
»Nicht ganz, aber ich bin gut vorangekommen. Wie ist es hier gelaufen?«
»Prima. Wir haben die meisten
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