Kein Ort ohne dich: Roman (German Edition)
und ging noch einmal nach draußen, um die Steaks weiter zu beaufsichtigen.
»Es gab Zeiten, da habe ich bereut, dass ich nicht auf dem College war«, fuhr Linda fort. »Oder nicht zumindest ein paar Kurse belegt habe.«
»Was hättest du denn genommen?«
»Buchhaltung. Vielleicht ein paar Seminare über Landwirtschaft oder Viehzucht. Ich musste mir alles selbst beibringen und habe viele Fehler gemacht.«
»Du scheinst doch ganz gut zurechtzukommen«, stellte Sophia fest.
Darauf sagte Linda nichts, sondern trank einen Schluck.
»Du hast jüngere Schwestern, sagtest du?«, hob sie danach wieder an.
»Ja, drei.«
»Wie alt sind sie denn?«
»Neunzehn und siebzehn.«
»Also sind Zwillinge dabei!«
»Meine Mutter sagt immer, ihr hätten zwei Kinder gereicht, aber mein Vater wollte so gern einen Jungen, also haben sie es noch einmal probiert. Sie schwört, sie hätte in der Arztpraxis beinahe einen Herzinfarkt bekommen, als sie von den Zwillingen erfuhr.«
»Es hat bestimmt Spaß gemacht, in solch einem vollen Haus aufzuwachsen«, sagte Linda.
»Es war nur eine Wohnung. Da wohnen sie immer noch. Aber es war wirklich lustig, wenn auch zeitweise etwas beengt. Ich vermisse meine Schwester Alexandra. Wir ha ben uns ein Zimmer geteilt, bis ich aufs College gegangen bin.«
»Dann habt ihr ein enges Verhältnis.«
»Ja, schon ...«, sagte Sophia.
Linda musterte sie mit dem aufmerksamen Blick, den auch Luke oft hatte. »Aber?«
»Aber ... es ist nicht mehr wie früher. Sie sind immer noch meine Familie, und wir werden uns immer nahestehen, aber es hat sich etwas verändert, seit ich weggezogen bin. Alexandra geht zwar auch aufs College, aber auf das Rutgers, sodass sie jedes zweite Wochenende oder noch öfter nach Hause kommt, und Branca und Dalena wohnen noch bei meinen Eltern, sie gehen zur Schule und arbeiten im Geschäft mit. Ich dagegen bin acht Monate im Jahr hier. Gerade wenn sich zu Hause alles langsam wieder normal anfühlt, muss ich wieder fort.« Sie fuhr mit dem Fingernagel über den blank gescheuerten Holztisch. »Das Problem ist, dass ich nicht weiß, wie ich es anstellen soll, wieder dazuzugehören. In ein paar Monaten mache ich meinen Abschluss, und wenn ich nicht zufällig einen Job in New York oder New Jersey bekomme, weiß ich nicht, wie oft ich es nach Hause schaffe. Und was passiert dann?«
Sophia spürte Lindas Blick auf sich und stellte fest, dass sie diese Gedanken zum ersten Mal laut ausge sprochen hatte. Warum, wusste sie selbst nicht genau. Vielleicht, weil ihr Gespräch mit Marcia vorhin sie aus dem Gleichgewicht gebracht hatte, oder vielleicht auch, weil Linda den Eindruck machte, dass man ihr vertrauen konnte.
Linda beugte sich vor und tätschelte Sophia den Handrücken. »Das ist schwer, aber vergiss nicht, dass es in fast jeder Familie passiert. Kinder ziehen aus ihrem Elternhaus aus, Geschwister entfremden sich voneinander, weil das Leben ihnen in die Quere kommt. Oft nähern sie sich dann nach einer Weile wieder an. Genauso war es auch bei Drake und seinem Bruder ...«
»Drake?«
»Mein Mann«, sagte Linda. »Lukes Vater. Er und sein Bruder hatten ursprünglich ein sehr enges Verhältnis, aber als Drake professioneller Rodeoreiter wurde, sahen sie sich kaum noch. Später, nachdem Drake sich zur Ruhe gesetzt hatte, kamen sie einander wieder näher. Das ist der Unterschied zwischen Verwandten und Freunden. Die Familie ist für immer da, egal was passiert, auch wenn sie nicht nebenan wohnt. Du wirst bestimmt einen Weg finden, die Verbindung lebendig zu halten. Besonders da dir bewusst ist, wie wichtig das ist.«
»Ja, das ist es.«
Linda seufzte. »Ich wollte immer Geschwister haben«, gestand sie. »Jemanden zum Spielen, zum Reden. Als Kind habe ich meine Mutter ständig damit gelöchert, und sie sagte nur: ›Mal sehen.‹ Was ich erst später erfuhr, war, dass meine Mutter eine ganze Reihe von Fehlgeburten hatte und ...« Sie stockte kurz. »Sie konnte einfach keine Kinder mehr bekommen. Manchmal klappt eben nicht alles so, wie man es sich wünscht.«
So wie sie das sagte, ließ es Sophia vermuten, dass Linda möglicherweise ebenfalls Fehlgeburten erlitten hatte. In dem Moment schob Linda allerdings ihren Stuhl zurück und beendete das Thema.
»Ich mache noch schnell einen Salat«, verkündete sie. »Die Steaks müssten jeden Moment fertig sein.«
»Kann ich etwas helfen?«
»Du könntest den Tisch decken. Teller sind da, Besteck in der Schublade dort drüben.«
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