Kein Ort ohne dich: Roman (German Edition)
letzten Abend der Ausstellung wurden wir zu dieser privaten Cocktailparty am See eingeladen.«
Ruth schwelgt in den kostbaren Erinnerungen und schweigt für einen Moment. Ihr Blick ist ernst, als sie mir schließlich in die Augen sieht.
»Das war die schönste Woche meines Lebens«, sagt sie.
»Wegen der Künstler?«
»Nein.« Sie schüttelt kaum merklich den Kopf. »Deinetwegen.«
A m fünften und letzten Tag der Ausstellung verbrachten Ruth und ich nur wenig Zeit miteinander. Nicht, weil es Spannungen zwischen uns gegeben hätte, sondern weil Ruth unbedingt noch mehr Dozenten treffen wollte, während ich damit zufrieden war, herumzuschlendern und mit den Künstlern zu plaudern, die wir bereits kannten.
Und dann war es vorbei. Die nächsten Tage unternahmen wir Dinge, die eher typisch für frisch Verheiratete waren. Morgens wanderten wir über die Naturlehrpfade der Umgebung, nachmittags lasen wir am Pool und schwammen. Wir aßen jeden Abend in einem anderen Restaurant, und an unserem letzten Tag lud ich, nachdem ich ein Telefonat geführt hatte, unsere Koffer in den Wagen, und Ruth und ich stiegen ein, beide entspannt wie schon lange nicht mehr.
Unsere Heimfahrt über den Highway würde uns noch ein letztes Mal an der Ausfahrt nach Black Mountain vorbeiführen, und als wir uns ihr näherten, schielte ich zu Ruth hinüber. Ich konnte ihren Wunsch, dorthin zurückzukehren, deutlich spüren. Seelenruhig bog ich kurz darauf Richtung College ab. Ruth sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, sie war sichtlich verwundert.
»Nur eine kurze Pause«, sagte ich. »Ich möchte dir etwas zeigen.«
Ich fuhr durch das Städtchen und nahm wiederum eine Abzweigung, die sie erkannte. Und genau wie damals verzieht Ruth den Mund jetzt zu einem Lächeln.
»Du brachtest mich zu dem See beim Hauptgebäude«, sagt sie. »Wo am letzten Abend der Ausstellung die Cocktailparty stattfand. Lake Eden.«
»Die Aussicht war so hübsch. Ich wollte sie mir noch einmal ansehen.«
»Ja.« Sie nickt. »Das hast du damals auch gesagt, und ich habe dir geglaubt. Aber es stimmte nicht.«
»Hat dir die Aussicht etwa nicht gefallen?«, frage ich unschuldig.
»Wir waren nicht deshalb dort«, sagt sie. »Wir waren dort, weil du etwas für mich getan hattest.«
Und jetzt bin ich an der Reihe mit Lächeln.
Als wir am See ankamen, bat ich Ruth, die Augen zu schließen. Widerstrebend fügte sie sich, und ich fasste sie sanft am Arm und führte sie über den Kiesweg zu dem Aus sichtspunkt. Der Morgen war wolkig und kühl, auf der Cocktailparty war der Blick schöner gewesen, doch das spielte keine Rolle. Sobald ich Ruth an der richtigen Stelle postiert hatte, durfte sie die Augen öffnen.
Auf Staffeleien standen dort sechs Gemälde der Künstler, deren Arbeiten Ruth am stärksten beeindruckt hatten. Es waren gleichzeitig die Künstler, mit denen sie am meisten Zeit verbracht hatte – die Werke stammten von Ken, Ray, Elaine, Robert und zwei von Elaines Mann.
»Einen Moment lang«, sagt Ruth jetzt zu mir, »habe ich nicht begriffen. Ich wusste nicht, warum du sie dort für mich aufgebaut hattest.«
»Weil du die Arbeiten bei natürlichem Tageslicht sehen solltest.«
»Du meinst die Kunstwerke, die du gekauft hattest.«
Denn das war es natürlich, was ich getan hatte, während sich Ruth mit den Dozenten unterhielt, und bei dem Telefonat am letzten Morgen hatte ich arrangiert, dass die Gemälde am See aufgestellt wurden.
»Ja«, sage ich. »Die Kunstwerke, die ich gekauft hatte.«
»Du weißt, warum du das getan hast, nicht wahr?«
Ich wähle meine Worte mit Bedacht. »Um dich glücklich zu machen.«
»Aber auch, weil ...«, bohrt sie nach, weil sie möchte, dass ich es sage.
»Aber auch, weil sie mich gar nicht so viel gekostet haben«, sage ich entschieden. »Damals waren sie noch nicht berühmt.«
Ruth beugt sich vor, ich soll weitersprechen. »Und ...«
Mit einem Seufzen gebe ich nach, weil ich weiß, was sie hören will.
»Und ich habe sie gekauft«, sage ich, »weil ich selbstsüchtig bin.«
D as ist nicht gelogen. Obwohl ich die Gemälde für Ruth kaufte, weil ich sie liebte, obwohl ich sie kaufte, weil sie die Bilder liebte, ging es dabei auch um mich.
Es war einfach so, dass die Ausstellung in jener Woche Ruth veränderte. Ich hatte sie schon in unzählige Galerien begleitet, aber während unserer Besuche in Black Mountain erwachte etwas in ihr. Auf eine merkwürdige Art und Weise verstärkte der Aufenthaltsort dort eine
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