Kein Schlaf für Commissario Luciani
dachte … vielleicht hast du irgendeinen Verbrecher gefunden und ausnahmsweise willst du ihn, statt vor einen Richter, der ihn sowieso gleich wieder laufen lässt, vor den Allmächtigen bringen.«
Der Kommissar verzog das Gesicht. »Besser du weißt nicht mehr als nötig. Das sage ich in deinem Interesse.«
»Das ist korrekt, ich danke dir. Die Statue steht in der Sankt-Matthäus-Kirche. Wenn du reinkommst, links, du kannst sie gar nicht verfehlen.«
»Vielen Dank.« Marco Luciani wollte schon gehen, doch dann drehte er sich noch einmal um. »Was meinst du, sollte ich ihm etwas spenden? Oder fühlt er sich dann womöglich beleidigt?«
»Bete mit dem Herzen, Commissario, denn er muss spüren, dass dein Wunsch aufrichtig ist. Aber dir muss bewusst sein, dass du auch ein Opfer bringen musst. Geld ist immer eine gute Methode, sein Engagement zu zeigen. Spende ihm einen ordentlichen Betrag, der für dich ein Opfer bedeutet. Ein Killer würde dich im Grunde viel mehr kosten.«
Als er auf die Straße trat, merkte er, dass es zu regnen begonnen hatte, und zwar ziemlich heftig. Ein schönes Frühlingsgewitter, das hoffentlich die Luft ein wenig abkühlen würde. Marco Luciani hatte keine Lust, noch einmal in die |294| Wohnung zu gehen, um den Schirm zu holen, also schlug er den Jackettkragen hoch, überquerte die Gasse und ging zügig an den Hausmauern entlang, wobei er den Sturzbächen auswich, die aus den löchrigen Dachrinnen und von Mauersimsen prasselten. Er ging durch die Via del Campo, eine der wenigen Gegenden, die noch in afrikanischer Hand waren, dann durch die Via San Luca. Dort gehörte inzwischen beinahe jedes zweite Geschäft den Chinesen. Er kam an die Piazza Bianchi, auf der sich seit fast zwanzig Jahren eine Baustelle befand, und erreichte schließlich, völlig durchnässt, Sankt Matthäus. Die Kirche war offen, vor dem Portal stand eine Gruppe ausländischer Touristen, die wohl mit einem Schiff gelandet waren und nun den Ausführungen einer Führerin lauschten.
Der Kommissar hielt sich nicht mit dem ästhetischen Rang der Piazza auf, trat schnurstracks in die Kirche, ohne sich zu bekreuzigen, merkte aber nach wenigen Schritten, dass er, wenn er von einem seiner Bewohner einen Gefallen erhoffte, dem Hausherrn die Gunstbezeugung nicht versagen durfte. Er ging zurück, tauchte Zeige- und Mittelfinger ins Weihwasserbecken, beugte ein Knie leicht und flüsterte wie eine Beschwörungsformel »Imnamendesvatersdessohnesunddesheiligengeistes«.
Es dauerte nicht lange, bis er ihn gefunden hatte. Um ehrlich zu sein, hatte er mit einer, wenn auch bescheidenen, Holzstatue gerechnet, die auf einer mit Opferkerzen gefüllten Kiste stand. Der heilige Judas war jedoch eine weiße Marmorbüste, die hoch oben auf einem Sims thronte, ein Mann, der Autorität ausstrahlte mit seinem weißen Bart und dem vergoldeten Heiligenschein aus Eisen. Er sah weder wie ein Killer noch wie ein Heiliger aus, eher wie ein Philosoph oder ein alter Seemann, der kaum noch mit dem Boot rausfährt, sondern in der Sonne sitzt und die Netze flickt.
|295| Marco Luciani spürte einen Schauder, seine nassen Kleider klebten ihm am Leib, und die Feuchtigkeit im Kirchenschiff verhieß nichts Gutes.
»Also gut, heiliger Judas«, sagte er leise, »es heißt, dass man dich auch um … etwas ausgefallene Sachen bitten kann. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Aber wenn doch, wenn du der Mann bist, den ich suche, dann muss ich dich wirklich um einen Gefallen bitten.«
Er wollte weitersprechen, bemerkte aber rechts vom heiligen Judas einen weiteren Philosophen mit Bart und Heiligenschein, den heiligen Jakob, der in ihre Richtung blickte und anscheinend bestürzt zuhörte, während ein Stückche weiter der heilige Simon die Augen vor Empörung geschlossen hatte. Er drehte sich zur anderen Seite und sah einen heiligen Paulus, der ihn drohend musterte, genauso wie die anderen vier Apostel, Heiligen oder Propheten, die mit ernster Miene aus dem gegenüberliegenden Seitenschiff herübersahen.
Er betrachtete den heiligen Judas, der spöttisch zu lächeln schien, und erläuterte stumm die Situation, versuchte ihn zu überzeugen, dass es um ein gutes Werk ging, auch wenn die Kollegen mit weißem Bart und Heiligenschein nicht derselben Ansicht wären. Und vor allem nicht der andere Herr, der am Kreuz über dem Altar hing, für den jedes Leben heilig war.
Luciani verharrte eine Weile in Versenkung, dann hörte er, dass die Touristengruppe die Kirche betreten
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