Kein Schlaf für Commissario Luciani
Geste, jede Bewegung, jeden Blick und jede Haltung Stefanias registrierte, wobei er sich zu erinnern suchte, was sein Handbuch zu übereinandergeschlagenen Beinen, zu einem wippenden Fuß und zu Händen sagte, die ständig an den Haaren herumnestelten. Nadia Giolitti war stehen geblieben, sie lehnte an der Wand und hatte die Arme verschränkt. Sie schaute ihn entschlossen an, ohne eine Spur von Sympathie.
Er schaffte es unter enormer Anstrengung – mehrfach verhaspelte er sich und warf die Dinge durcheinander –, die Anweisungen für den Tag zu geben. Befehl Nummer eins lautete wie tags zuvor: einen Hinweis, irgendeine Spur zu finden, die zur Festnahme Maurizio Merlis führte, ehe ihnen jemand zuvorkam. Der Fall gehörte ihnen, keine Frage, aber ein flüchtiger Mörder, der im In- oder Ausland unterwegs war, würde Carabinieri, Finanzpolizei und Aasgeier aller Art auf den Plan rufen, die auf billige Publicity hofften. Deshalb mussten Freunde, Verwandte, Bekannte und |302| Trinkkumpane ausgehoben werden, jeder, der einem flüchtigen Mörder (der wahrscheinlich bewaffnet und sicher gefährlich war) Unterschlupf oder Hilfe gewähren konnte. Giampieri beendete die Versammlung mit der Bemerkung: »Gut, wenn noch jemand einen Kaffee will, bevor er wieder an die Arbeit geht …«
Er ging voraus und sah aus dem Augenwinkel, dass Stefania hinter ihm in den Korridor trat, belagert von vier, fünf Kollegen. Auf dem Weg zum Automaten zerrte er an seiner Krawatte, um sie wieder außer Form zu bringen, dann rubbelte er im Futter seiner Tasche herum, riss ein Stück Faden heraus und legte es sich auf die Schulter, während er so tat, als massierte er sich.
Er drehte sich lächelnd um und fragte: »Also, wer will einen Kaffee?«
Zwei oder drei Hände gingen in die Höhe. »Für mich ohne Zucker«, sagte Calabrò, der am nächsten stand. Die Boemi war ein wenig auf Abstand geblieben, weil sie mit der Giolitti und anderen sprach.
Sie verteilten den Kaffee, stellten die Becher auf die Stehtischchen, Calabrò fixierte den Kommissar und sagte: »Entschuldige«, dann richtete er ihm mit einer raschen Bewegung die Krawatte.
Giampieri verzog das Gesicht und warf den leeren Becher in den Mülleimer.
»Ich bin von lauter Waschweibern umgeben«, sagte er halblaut.
»Was?«
»Nichts, nichts. Wollen mal sehen, ob irgendwelche Meldungen eingegangen sind.«
Er warf Stefania Boemi einen Blick zu, der etwas länger war als nötig.
»Du hast gute Arbeit geleistet, wirst sehen, wir kriegen ihn.«
|303| Stefania antworte mit einem strahlenden Lächeln: »Wenn er es ist, dann sind Sie mir zumindest ein Abendessen schuldig. Mit Languste und Champagner.«
Ich bin allergisch auf Languste, dachte der Vizekommissar, aber als sie sich umdrehte, dachte er, dass er im Tausch gegen diesen wundervollen runden Hintern die Languste auch roh gegessen hätte. Er ballte triumphierend die Fäuste und biss sich auf die Lippe, um nicht in lauten Jubel auszubrechen. Es war eine Frage von Stunden, bis sie den Täter schnappten, und um die liebreizende Stefania zu schnappen, brauchte er bloß die Hand auszustrecken.
»Ich fasse es nicht.«
Der Ingenieur saß im Technikraum vor Barbara Ameris Computer. »Ich fasse es nicht«, sagte er wieder.
Er hatte am Vormittag ein paar Stunden lang Barbaras Computer gefilzt, hatte in den gespeicherten Dateien herumgesucht und dann aus reinem Pflichtbewusstsein noch einmal die vom Rechner zuletzt ausgeführten Operationen überprüft. Das Ergebnis schien unglaublich, aber da war es, direkt vor seiner Nase. Das letzte Booting war um 8.27 Uhr vorgenommen worden, wie er selbst sofort am Morgen der Tat gesehen hatte, aber Giampieri hatte entdeckt, dass der Computer dieses Booting jeden Morgen automatisch durchführte. Das vorletzte Booting war am selben Morgen um 7.58 Uhr ausgeführt worden.
Er war ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass das Booting um 8.27 Uhr nicht nur das letzte, sondern an jenem Tag auch das erste gewesen war. Ein logischer Gedanke, nach Marco Turones Aussage, er habe Barbara um halb neun nach der Uhrzeit befragt. Aber dem war nicht so. Zeugen konnten sich irren oder lügen, aber für den Computer gab es keinen Grund, das zu tun. Barbara hatte ihn um 7.58 Uhr angeschaltet. Dann hatte sie ihn, warum |304| auch immer, um 8.06 Uhr abgestellt. Und zwanzig Minuten später war er von alleine wieder hochgefahren.
Einen Moment. Und wenn ihn jemand anders hochgefahren hatte?
Der Ingenieur konnte
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