Kein Schlaf für Commissario Luciani
Altglascontainer. Bevor er wieder ins Haus ging, suchte er das Gerüst ab, fand aber das andere Ende des Seils nicht. Dann hob er die Augen und sah den Neapolitaner am Fenster. Ihre Blicke kreuzten sich. Worte waren überflüssig.
|299| Donnerstag
Giampieri
Er zog die Hose des blauen Anzugs an – der beste, den er hatte –, dann das weiße Hemd, das die Zugehfrau am Vortag sorgfältig gebügelt hatte, schließlich schnallte er das Pistolenhalfter um. Er war kein guter Schütze, aber nach dem Besuch der Men in Black hatte er ein paar Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Er wählte eine Krawatte, nicht weil sie ihm gefiel, sondern weil er kürzlich in seinem Handbuch gelesen hatte, wie nützlich eine Krawatte sein konnte. Er achtete darauf, dass der Knoten nicht perfekt, sondern ein wenig schief geriet, dann pflückte er ein paar beige Fussel von einem verfilzten Pullover und legte sie auf die linke Schulter des Jacketts. Das Buch sagte: Wenn du eine schiefe Krawatte trägst, dann kann die Frau, der du gefällst, nicht der Versuchung widerstehen, sie geradezurücken. Und ebenso wird sie, falls sie diese bemerkt, Fussel oder lose Fäden von deiner Kleidung entfernen. Wer weiß, ob das auch für Schuppen gilt, dachte er, dann schnürte er die Halbschuhe, setzte seine Nickelbrille auf und betrachtete sich lange im Spiegel. »Alles in allem sehe ich saugut aus. Da soll noch einer sagen, Ingenieure und Bullen hätten keinen Geschmack.«
Auf dem Weg durch die Dienststelle kassierte er ein paar Komplimente, und genauso oft wurde er gefragt, ob er von einer Beerdigung komme. Er streifte eine Weile durch die Flure, um zu sehen, ob er Stefania über den Weg lief, dann verweilte er gut eine Viertelstunde vor dem Kaffeeautomaten, aber sie ließ sich nicht blicken. Alle zwei Minuten kontrollierte er, ob die Fussel noch auf seiner Schulter waren, |300| und linste nach der unnatürlichen Windung der Krawatte, die sich in der Glastür des Automaten spiegelte.
Zehn Minuten vor der Besprechung – er hatte mindestens sieben Anrufe mehr oder weniger wichtiger Persönlichkeiten und ihre mehr oder weniger unterschwelligen Drohungen entgegengenommen – hörte er das unverwechselbare Klopfen Ianneces, der die Morgenpost brachte.
»Guten Morgen, Herr Ingenieur. Wie sind wir elegant heute. Eine Beerdigung?«
Giampieri streckte Zeige- und kleinen Finger ab, um das Unglück abzuwenden.
»Dann also Hochzeit. Ihre eigene gar. Zeit wär’s ja.«
Giampieri wiederholte die Geste mit den Hörnern.
»Was ist daran so schlimm, wenn man heiratet? Eine Frau zu haben, die wäscht, bügelt, putzt und dir Essen kocht? Ein paar Kinder um sich herum. Wenn man abends nach Hause kommt, ist man wenigstens im Kreis der Familie. Sie dagegen kommen nach Hause, essen alleine und starren die Wand an.«
Ich starre lieber die Wand an als deine Frau, dachte Giampieri, dann bereute er diese Gemeinheit. »Iannece, die letzte Frau, die noch wäscht, bügelt und Essen kocht, die hast du abgegriffen. Die Frauen von heute sind anders.«
»Das stimmt doch nicht, Herr Ingenieur. Unten in meiner Gegend gibt es noch jede Menge braver Mädchen, die sich nichts anderes wünschen, als für ihren Mann zu sorgen. Nur wollt ihr eine Intellektuelle, eine Karrierefrau, und klar haben die keine Lust, zu putzen und zu kochen. Wissen Sie, wie das Sprichwort sagt: ›Vernasch mich, aber mach mich nicht nass.‹?«
Giampieri versuchte einen Moment lang, sich das bildlich vorzustellen, dann klopfte er Iannece auf die Schulter.
»Gehen wir, es ist Zeit für die Besprechung.«
»Einen Augenblick, Herr Ingenieur.«
|301| Der Kommissar wollte seinem Assistenten entschlüpfen, aber Ianneces Pranken hatten bereits die Krawatte gepackt und mit vier, fünf beherzten Griffen den Knoten in Form gebracht. »Voilà, jetzt sehen Sie aus wie ein Model.«
Iannece strahlte ihn an und streckte wieder die Hand aus. Einen Moment lang fürchtete Giampieri, er wolle ihn streicheln. Stattdessen schnippte Iannece schnell die Fussel von Giampieris Schulter, dann drehte er sich um und ging voraus ins Besprechungszimmer.
Stefania Boemi saß in der dritten Reihe, in Uniform, aber mit offenem Haar. Sie fixierte ihn und spielte gedankenverloren mit einem Ring, den sie sich immer wieder vom Finger zog. Zur verborgenen Bedeutung dieser Bewegung hatte sein Handbuch eine klare Meinung. Giampieri versuchte sich auf seinen Vortrag zu konzentrieren, aber er konnte nicht verhindern, dass er jede noch so kleine
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