Kein Schlaf für Commissario Luciani
fast hören, wie die Zahnräder in seinem Hirn verrückt spielten. Es war Mantero, der ihn hochgefahren hatte. Er ist der Mörder. Oder nein, jemand anders, ein Dieb schaltete ihn an, und sie überraschte ihn, weil sie früher zur Arbeit kam. Aber warum sollte ein Dieb einen Computer hochfahren? Was suchte er? Oder war der Mörder schon mit dem Vorsatz gekommen, sie zu töten? Und erwartete sie bereits im Büro. Auf jeden Fall musste er die Schlüssel haben. Und die Schlüssel haben nur Mantero, seine Mutter und die Putzfrau, die aber bereits aus dem Verdächtigenkreis ausgeschlossen wurden. Mantero könnte sie aber auch Merli gegeben haben, damit er Barbara eliminierte, vielleicht hatte sie Dinge entdeckt, die sie nicht wissen durfte. Samstag Vormittag hatte sie das Büro aufgesucht und war mit einer Diskette weggegangen. Was war auf dieser Diskette? Vor seinem inneren Auge baute sich wieder in all seiner Bedrohlichkeit das Bild der Men in Black auf, ihre Raubtiermuskeln, die in die Sakkos gezwängt waren.
Ruhig, sagte er sich, ganz ruhig.
Aber es war unmöglich, ruhig zu bleiben. Diese Entdeckung konnte alles auf den Kopf stellen, denn sämtliche Alibis waren für 8.27 Uhr überprüft worden. Und nun galt auch die Hypothese, dass man Barbara womöglich schon früher überfallen hatte: Sie lag am Boden, mit eingeschlagenem Schädel, bis der Broker eintraf, durch eine Autopsie war aber nicht festzustellen, ob nach dem Angriff fünfzehn Minuten oder eine Stunde vergangen waren. Mit derartigen Verletzungen konnte man auch sehr lange überleben.
Er dachte sofort an Maurizio Merli. Sein Alibi gründete |305| sich allein auf die Aussage der Schwester, die ihn, falls sie die Wahrheit sagte, um halb neun zum Joggen hatte gehen sehen. Aber vielleicht kam er schon zurück, und wenn er wirklich nicht verschwitzt war, dann deshalb, weil er nur wenige Minuten gelaufen war, von Barbara Ameris Büro bis nach Hause. Niemand anders hatte ihn bis in den späten Vormittag gesehen.
Wir haben es fast, dachte er, wollte aber keine mögliche Alternative auslassen. Er versuchte sich zu erinnern, was die anderen Zeugen und Verdächtigen ausgesagt hatten, vom Onkel über Giacomo bis zu Turone und Mantero.
Er wollte noch einmal nach den zuletzt aufgerufenen Dateien suchen, als Vitone hereinkam und sagte, Iaquinta warte in seinem Büro auf ihn.
Giampieri schaltete den Computer aus, damit niemand anders seine Nase hineinsteckte, ging hoch in sein Büro, rief Venuti an, sagte ihm, er würde in Genua auf etwaige Fahndungsergebnisse warten, und bat um Mitteilung, falls die Beamten, die Emanuela Merli überwachten, irgendwelche Neuigkeiten hätten. Er erwähnte nichts von der neuen Chronologie für den Morgen der Tat. Die Entdeckung konnte fundamental sein, aber es war noch zu früh, um sie mit Venuti oder der Serra zu teilen.
Auch gegenüber Iaquinta hielt er den Mund, er hörte sich einfach nur die Instruktionen des Polizeichefs an, es sei unabdingbar, dass die Ermittlungen rasch zum Abschluss gebracht würden. Sie sprachen über Luciani und die Möglichkeit, dass er nicht zurückkommen würde, und auch wenn er keine expliziten Versprechungen machte, ließ Iaquinta durchblicken, dass er an Giampieri als Nachfolger dachte. Es war klar, dass sich alles in den nächsten Stunden entscheiden würde und dass sein berufliches Schicksal mit dem von Maurizio Merli verquickt war.
|306| Gegen zehn Uhr abends ging er völlig erschöpft zum nächsten McDonald’s und aß sein übliches Happy Meal. Es gab keine Duffy-Puppen mehr, und das schlug ihm ein bisschen auf die Stimmung, er musste mit Tweety vorliebnehmen, der ihm immer auf die Ketten gegangen war. Er fragte sich, ob es nicht angezeigt war, seinen Ex-Chef anzurufen. Der Besuch der Men in Black und die Entdeckung des neuen Bootings passten nicht recht zu dem Puzzle, das sie bis dato gelegt hatten. Es muss wenigstens eine Person geben, die über meine Entdeckung Bescheid weiß, dachte er. Sicher ist sicher. Er wollte es weder Venuti noch der Serra sagen. Calabrò? Der würde es ausnutzen, um die ganze Ermittlungsarbeit mieszumachen und wieder Giampieris Entscheidungen zu kritisieren. Vielleicht Vitone, aber den kannte er noch nicht gut genug. Die Men in Black hatten sicher ihre Verbindungen zum Kommissariat, und er konnte nur den alten Hasen in der Dienstgruppe trauen. Oder vielleicht nicht einmal denen.
Er kehrte aufs Kommissariat zurück und blieb bis spät, las noch einmal die Akten mit den
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