Kein Schlaf für Commissario Luciani
Denselben Mut würde sie nicht aufbringen, wenn sie das Ganze dem Priester beichten musste. Vielleicht würde sie es eines Tages bei einem fremden Priester schaffen. Aber nicht bei Don Guido, bei ihm nicht. Es wäre eine zu große Enttäuschung für ihn. Auch wenn er immer flachste, ihre Sünden seien vollkommen uninteressant, so spürte sie doch, dass er ihr nie wieder würde in die Augen sehen können wie früher. Und bei Pater Mariano konnte sie genauso wenig ihr Herz ausschütten. Nein, sie würde warten, bis sie mit ihren Freundinnen nach Rom fuhr. Sie würde in Sankt Peter beichten. Im Grunde hatte sie keine Todsünde begangen, sie konnte weiterhin zur Kommunion gehen.
Sie hörte, dass an die Tür geklopft wurde, dann die schlaftrunkene Stimme:
»Babi, alles in Ordnung?«
Sie hob den Kopf und räusperte sich, damit man nicht hörte, dass sie geweint hatte. »Ich bin fertig. Du kannst gleich rein, ich warte sowieso auf einen Anruf.«
|409| Donnerstag
Luciani & Calabrò
Er erwachte in einem fremden Bett, mit verspannten Muskeln, knirschenden Zähnen, der Kopfschmerz pulste bis in die Augenhöhlen. Im Mund hatte er den Geschmack von Whiskey, gemischt mit ihrem Geschlecht, während sein Körper mit jeder Pore die am Vortag aufgestauten Gifte ausschwitzen wollte und nach Wasser verlangte: Wasser, Wasser … Er verharrte noch einen Moment mit geschlossenen Augen, versuchte sich zu entspannen, und als sich der Kopfschmerz ein bisschen gelegt hatte, schaffte er es, aufzustehen und ins Bad zu gehen. Er drehte sich um, warf einen flüchtigen Blick auf seine Gefährtin. Das Laken bedeckte halb ihren Rücken, ließ aber ein glattes schlankes Bein frei, einen vollendet geformten Fuß und die Haare, die das erste Morgenlicht reflektierten. Sie war schön, verdammt, schön und unschuldig wie ein schlafendes Kind. Und gestern Abend war sie noch schöner gewesen, wunderschön und verzweifelt und stolz angesichts des Todes, der Gefahr. Es war einer dieser Augenblicke gewesen, wo man sich mit dem eigenen tiefsten Innern messen muss und wo man nur versucht, sich lebendig zu fühlen. Wer weiß, vielleicht war auch ich gestern Abend schön und faszinierend wie ein griechischer Held, dachte Marco Luciani, einer von denen, die wissen, dass jeder Tag der letzte sein kann, und sich entsprechend verhalten, auch bei den Frauen.
Klar. Aber heute Morgen fühle ich mich einfach nur beschissen, weil ich, kaum hatte ich Nicola zu Grabe getragen, mit ihr ins Bett gegangen bin. Und ich weiß nicht, ob ich es getan habe, um ihm Gerechtigkeit zu verschaffen |410| oder ihn endgültig zu töten, um ihn zu bestrafen, dafür, dass er einfach so gegangen ist, wie ein blöder Junkie aus der Gosse. Er erinnerte sich, dass sie lange über Giampieris Tod gesprochen hatten, und sicher hatte er anfangs gesagt, er sei überzeugt, es habe sich um eine normale Überdosis gehandelt. Sie hatten später aber noch einmal darüber gesprochen, nachdem er gebechert hatte, und was er ihr da gesagt hatte, das wusste er nicht mehr so genau.
Er steckte sich zwei Finger in den Rachen und versuchte sich zu übergeben, auch wenn er seit fast zwei Tagen nichts gegessen hatte. Es kamen nur Galle und Magensäure hoch, aber der Magen schien auch mitzukommen und ihn zu ersticken. Am Ende fühlte er sich trotzdem ein bisschen besser. Er sehnte sich verzweifelt nach einer Dusche und einem Kaffee, aber vor allem wollte er sie nicht wecken. Denn jetzt in ihrem Gesicht die Scham, den Ekel oder sonst ein Gefühl zu lesen, das sein Anblick, nach dem Suff, in ihr auslöste, das hätte er nicht ertragen. Whiskey, ich habe Whiskey gebechert, dachte er. Ich glaube es nicht.
Er kehrte ins Wohnzimmer zurück, um die Kleider einzusammeln, die sie einander vom Leib gerissen hatten, als der Wahnsinn um sich griff, und zog sich langsam an. Vorher hatte er die Lampe ausgeschaltet, die die ganze Nacht über sie gewacht hatte. Er legte die leere Keksschachtel auf den Tisch, hob ein Glas vom Fußboden auf, lungerte noch ein bisschen herum, weil er insgeheim hoffte, sie könnte auf der Türschwelle erscheinen, in ein Laken gehüllt und mit schmachtend-schuldbewusster Miene.
Warum hat sie es getan?, fragte er sich. Warum ich es getan habe, das weiß ich, aber sie? An das Bild des griechischen Gottes konnte keiner glauben, vielleicht wollte sie sich an Nicola rächen, die Erinnerung an ihre Beziehung beschmutzen, oder vielleicht hatte der Kommissar ihr einfach leidgetan, oder aber alles war
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