Kein Schlaf für Commissario Luciani
schaute Calabrò an, als ob dieser ihm soeben auf den Schreibtisch geschissen hätte.
»Das soll wohl ein Witz sein.«
»Das ist kein Witz. Ich wiederhole, ich brauche die Liste aller Operationen der letzten Wochen, bei denen Heroin sichergestellt wurde.«
Ruggeri erhob sich. »Kommt gar nicht in Frage. Wer bist du Pisser überhaupt?«
»Jemand, der dir viel Ärger ersparen kann. Eure Angelegenheiten interessieren mich nicht. Ich brauche nur einen Namen. Aber wenn du ihn mir nicht geben willst, dann kannst du dich mit Kommissar Luciani anlegen.«
|414| Dem anderen blieb ein Kloß im Hals stecken. Er wusste, wie gefährlich Luciani sein konnte. Aber er hatte sich gleich wieder im Griff: »Dein Chef hat abgedankt, wenn ich nicht irre. Er wird bald ein Ex-Kommissar sein. Und damit …«
Das war der Augenblick, um die letzte Karte auszuspielen. Calabrò stand auf und schaute den Kollegen an, als täte es ihm leid für ihn. »Okay, ich dachte, wir könnten das unter uns regeln, ohne Aufsehen. Aber jetzt sehe ich mich gezwungen, Tartara von der Dienstaufsicht vorbeizuschicken. Wir sind ein Herz und eine Seele, er und ich, und ich wette, er kann es gar nicht erwarten, sich hier drin mal umzusehen.«
Das konnte ein Bluff sein, musste aber nicht. Vielleicht hatte auch die Mordkommission etwas zu verbergen und würde sich bedeckt halten. Aber das Drogendezernat konnte nicht das Risiko eingehen, diesen Bluff aufzudecken.
Ruggeri setzte sich wieder hin. »Beschlagnahmungen gab es massenweise.«
»Fangen wir beim letzten Monat an«, lächelte Calabrò. »China Black, beste Qualität.«
Stefania Boemi öffnete die Tür ihrer Wohnung. Angenehm, dachte Luciani, geschmackvoll eingerichtet. Das Parkett fing das Licht der Lampen auf und vermittelte ein Gefühl von Wärme und Geborgenheit. Von Sicherheit.
»Herr Kommissar«, sagte sie überrascht. »Sie hätten sich ankündigen können.«
»Entschuldige. Ich habe es nicht geschafft. Kann ich einen Moment reinkommen?«
Sie blieb unschlüssig stehen, mit dem rechten Fuß die linke Fessel massierend. Sie trug einen ausgebeulten beigefarbenen Pullover, der die Oberschenkel gerade mal zur Hälfte bedeckte, und dicke Baumwollsocken.
|415| »Kommen Sie. Kann ich Ihnen etwas anbieten?«
»Hatten wir uns nicht geduzt?«
»Klar, sicher … Setz dich.«
Sofort herrschte bleiernes Schweigen. Marco Luciani wollte die Kollateralschäden auf ein Minimum reduzieren. Er bedeutete ihr, sich zu setzen, schaute ihr in die Augen und sagte unvermittelt: »Du bist das Mädchen, das mit Nicola am Samstagabend zusammen war.«
Ihr Blick sprang zum Fenster, sie versuchte zu leugnen, aber so unbeholfen, dass sie den Satz nicht einmal zu Ende brachte.
»Wie hast du es herausgefunden?«, flüsterte sie.
Er hob eine Braue.
»Das kannst du dir denken. Die Liebe hinterlässt Spuren. Und ein geübter Jäger muss ihnen nur folgen.«
Sie schaute ihn ein paar Sekunden an, bevor sie verstand. Sie presste die Lippen zusammen und wurde rot bis über beide Ohren.
Marco Luciani nahm ihre Hände. Sie schien überrascht.
»Warum hast du das nicht sofort gesagt? Du wusstest, dass wir diese geheimnisvolle Frau suchen.«
»Hätten Sie … hättest du das an meiner Stelle getan? Hättest du es gesagt?«
»Klar. Daran ist nichts Schlechtes.«
Sie lachte skeptisch auf und verlor ihre Hemmungen: »Bist du sicher? Eine Beamtin, die gerade erst den Dienst angetreten hat, geht mit ihrem Chef ins Bett, der wenige Stunden später tot aufgefunden wird? Und der, wie sich herausstellt, ein Fixer war? Nein, ich habe es nicht gesagt. Ich hoffte, die Sache würde schnell zum Abschluss kommen. Und ich hoffte, und hoffe es noch, dass ich unbehelligt davonkomme.« Sie fing leise an zu weinen. »Du kannst glauben, was du willst, aber Nicola gefiel mir wirklich. Als er ging, fühlte ich mich wie tot, ich fühlte mich benutzt, |416| ihr Männer wisst nicht, was das für ein Gefühl ist, wenn du merkst, wie der andere das Bett verlässt, das ist, als würde er dich auf einem sinkenden Schiff hockenlassen.«
Marco Luciani betrachtete sie, und sein Magen krampfte sich zusammen. Sie war schön, wie sie so die Ellbogen vor den Bauch hielt und am Ärmelsaum des Pullovers herumzupfte. Ihre gebräunten Beine, dieser Duft von Hautcreme … Doch jetzt galt es, die Wahrheit herauszufinden, auch wenn er sich dadurch verhasst machte. Es galt herauszufinden, ob sie wirklich nur eine junge Provinzpolizistin mit dem richtigen Riecher
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