Kein Schlaf für Commissario Luciani
sie sich zum letzten Mal getroffen hatten, als Luciani ihm die Geschichte mit der Bombe erzählte und Nicola nicht wusste, ob er ihm glauben sollte.
Hunderte Leute waren gekommen, Kollegen, Freunde, ganz normale Bürger, die das unglückselige Los eines jungen Polizisten rührte, der eben noch den Fall Ameri so glänzend gelöst hatte und dann von einem grausamen Schicksal dahingerafft worden war. Calabrò hatte einige Beamte unter die Kameramänner der Lokalsender beordert, damit diese die Trauergemeinde einfingen, mit besonderem Augenmerk auf die Frauen. Das Begräbnis des Opfers ist für den Mörder der Moment des größten Triumphes, dann kann er das Ergebnis seiner Mühen genießen ohne Angst vor einer Festnahme. Wenn jemand den Ingenieur vorsätzlich getötet hatte, dann war er sicher in der Menge.
»Hilf mir, Nick«, dachte der Kommissar, »hilf mir, sie zu finden.«
Er bahnte sich einen Weg zur Treppe, stieg bis zu einem der Marmorlöwen hoch und suchte unter den Leuten nach den attraktivsten Mädchen, den Mädchen, die mit seinem Vize in irgendeiner Beziehung stehen konnten. Es gab davon |401| so viele, als feierte man eine Hochzeit, wo die Frauen sich gewöhnlich in Schale werfen, sich bestens frisiert und geschminkt präsentieren, um der Braut die Show zu stehlen oder dem Bräutigam zu zeigen, was er sich entgehen ließ. Bei einer Beerdigung sieht man selten mehr als ein, zwei Frauen weinen, dachte er, und wenn es zwei sind, wird eine der beiden versuchen, nicht aufzufallen. Die anderen, die Verflossenen, werden sich nicht zeigen, sie werden höchstens für den Verblichenen beten oder ihn verfluchen, denn für gewöhnlich behalten uns nicht alle in bester Erinnerung.
»Guten Tag, Marco. Gibt es Neuigkeiten?«
Er zuckte ein bisschen zusammen. Staatsanwältin Serra war lautlos von hinten an ihn herangetreten, nur ihr Duft hatte sie angekündigt, ein fruchtiges Parfüm, vermischt mit dem Zigarettenqualm, den sie wütend ausstieß. »Bis jetzt nicht«, sagte er, den Blick auf die Sommersprossen und das rote Haar gerichtet. Die Demütigungen, die sie im Laufe dieser Ermittlungen erfahren hatte, und der Schock über Nicolas Tod hatten sie von ihrem Podest geholt, sie hatte das dünkelhafte Getue der Klassenbesten abgelegt und sich in eine vierzigjährige, ebenso verletzliche wie begehrenswerte Frau verwandelt. Sie war wohl nicht Nicolas Typ, dachte der Kommissar, aber bei so was weiß man nie, oft sind es die Begleitumstände, die uns die Entscheidung abnehmen.
Die Serra warf die Zigarette weg, schob mit einer müden Handbewegung das Mikrofon eines Privatsenders beiseite, dann betrat sie die Kirche und setzte sich in eine der vordersten Reihen, neben die anderen Staatsanwälte und den Polizeichef.
Marco Luciani blieb draußen und beobachtete eingehend die Leute, die immer noch herbeiströmten. Er hatte sich |402| neben dem Portal platziert, fast wie ein Rausschmeißer, und alle mussten sich seinem Blick stellen, der versuchte, jede Seele zu durchleuchten oder auch nur ein kurzes Aufflackern der Angst, einen Tropfen kalten Schweißes oder irgendeinen Hinweis auf Schuld zu erhaschen.
»Entschuldigen Sie, sind Sie Kommissar Luciani?« Das Mädchen, das sich ihm genähert hatte, war groß und schlank und hatte braune Locken. Sie konnte höchstens zwei-, dreiundzwanzig sein.
Er nickte.
»Ich bin Amalia, eine Freundin von Nicola. Entschuldigen Sie, wenn ich störe.«
»Was heißt hier stören? Du kannst mich ruhig auch duzen, Nicola hat mir von dir erzählt«, log er.
Ein wehmütiges Lächeln huschte über ihr gebräuntes Gesicht.
»Wirklich?«
»Sicher. Bist du nicht die …«
»… Schönheitspflegerin«, ergänzte sie. »Wir wollten letzte Woche eigentlich in ein Konzert gehen, aber dann …«
Eine Schönheitspflegerin, die kein bisschen Schminke aufgetragen hatte. Die hat was, dachte Luciani und warf einen verstohlenen Blick auf den Busen, der die Bluse füllte.
»Hast du ihn schon länger nicht mehr gesehen?«
Sie zögerte etwas zu lange, ehe sie antwortete:
»Er kam vorletzten Montag, an dem Tag, als sie das Mädchen umbrachten. Da habe ich auch herausbekommen, dass er Polizist war. Sie … du, der hat sich geschämt, mir das zu sagen! Er hatte Angst, ich wollte dann nichts mehr mit ihm zu tun haben.«
»Ja. Wir wissen nie, was die Leute von uns halten.«
Sie schaute ihn an. »Er war ein netter Junge. Hübsch und nett.«
|403| Dann brach es aus ihr heraus, sie fing zu weinen und zu
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