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Kein Schlaf für Commissario Luciani

Kein Schlaf für Commissario Luciani

Titel: Kein Schlaf für Commissario Luciani Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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der ranghöchste Beamte in der Mordkommission, und seine Nervosität wuchs, als er die Tür öffnete und statt des üblichen Lärms auf dem Flur eine merkwürdige Stille vernahm. Er streckte den Kopf heraus, schaute zuerst nach rechts, dann nach links und sah Luciani mit seinen Riesenschritten ankommen, den |471| Blick starr geradeaus gerichtet, gefolgt von einem schweigenden Prozessionszug.
    Marco Luciani öffnete die Tür zu seinem Büro. Es herrschte Halbdunkel, die Jalousien waren herabgelassen, die Luft roch abgestanden. Er stellte den Karton auf den Schreibtisch, öffnete das Fenster und kniff die Augen zusammen, während das Licht scharfe Konturen ins Zimmer schnitt.
    Er drehte sich um und sah Calabrò in der Tür, eingekeilt zwischen vier, fünf Kollegen, die nicht wussten, ob sie eintreten sollten. Der Kommissar schaute ihn finster an.
    »Und? Gibt es irgendein Problem?«
    Jemand schob den Inspektor vorwärts, und damit war der Bann gebrochen: Eine Flut von Beamten ergoss sich in den Raum, verteilte sich nach und nach an den Wänden, auf den Stühlen und schwappte sogar bis an den Schreibtisch. Niemand sagte ein Wort, aber Marco Luciani fühlte sich wie der Held in einem Fernsehfilm, der in einem Keller eingesperrt wird, wo es weder Fenster noch Türen gibt, und dem langsam das Wasser bis an den Hals steigt.
    »Der Versammlungsraum ist woanders«, sagte er knapp.
    Ein missbilligendes Raunen ging durch die Menge.
    Dann bahnte Iannece sich einen Weg und trat aus der Gruppe hervor. Mit einer Torte, auf der eine Kerze brannte. Er stellte sie auf den Schreibtisch, Beifall brandete auf.
    Luciani hatte damit gerechnet, versuchte aber überrascht zu tun. »Danke, Jungs,« sagte er, »aufrichtigen Dank.«
    »Es gibt auch ein Geschenk«, sagte Calabrò, »hoffentlich haben wir Ihren Geschmack getroffen.« Er lächelte und reichte ihm das Etui eines Tennisschlägers, das in rotes Weihnachtspapier eingehüllt war.
    Marco Luciani packte es aus und hielt zwei Head-Schläger in Händen, genau das Modell, von dem er vor einigen Wochen zwei Exemplare zertrümmert hatte. Irgendwer |472| musste in den Club gegangen und seine Vorlieben recherchiert haben. Dieser Jemand hatte sich als fähiger Ermittler erwiesen.
    »Die werde ich wie meine Kinder hüten.«
    Einen Moment lang herrschte betretenes Schweigen, dann tönte Ianneces Stimme: »Seien Sie ehrlich, Herr Kommissar. Ein bisschen tut es Ihnen leid, dass Sie uns verlassen.«
    Luciani beschränkte sich auf ein Nicken, denn die Stimme hätte ihm versagt.
    »Ach, wir Deppen. Wir haben den Brief vergessen«, sagte Failla und streckte ihm ein Kuvert hin.
     
    Iaquinta betrat das Postamt, ließ sich ein Formular für ein Einschreiben geben, füllte es aus und zog den Brief aus der Tasche. Auf dem Umschlag stand: »An den Polizeichef«, aber die Handschrift schien ihm eine andere. Er zog das Blatt heraus, las es und wurde bleich. Was zum Geier hatte Davide Risi mit dieser Angelegenheit zu schaffen?
     
    Marco Luciani wendete sein Entlassungsgesuch in den Händen und wusste nicht, was er davon halten sollte.
    Er schaute Iannece an und flüsterte: »Aber das … Hast du das denn nicht dem Chef gegeben?«
    »Klar, Herr Kommissar. Ich bin ein pflichtbewusster Zusteller. Bei Annahmeverweigerung gehen Sendungen aber postwendend zurück.«
    Der Kommissar starrte Calabrò, Vitone und, etwas ausführlicher, Failla mit seinem verschlagenen Gesichtsausdruck an. Dann steckte Iannece ihm eine Zigarre zwischen die Lippen.
    »Soll ich Sie Ihnen anzünden? Oder wollen Sie das lieber selber tun?«
    »Das mache ich selber, danke.« Er hielt den Brief in die |473| Kerzenflamme, und als er Feuer fing, zündete er damit die Zigarre an. Dann legte er das Blatt in den Aschenbecher und sah zu, wie es verbrannte.
    Er hatte Magengrimmen, vielleicht weil in dieser ganzen Geschichte nichts wirklich in Ordnung gebracht worden war. Der Fall Ameri war gelöst, aber niemand außer ihm würde jemals den wahren Mörder kennen. Er hatte gute Lust, es allen zu sagen, stolz zu verkünden, dass er ihm auf die Schliche gekommen war. Aber er würde es nicht tun. Es hatte keinen Sinn, einen Menschen anzuklagen, der bereits mit dem Leben bezahlt hatte. Anwalt Mantero war inzwischen von jedem Verdacht freigesprochen, und Barbaras Eltern hätte diese Wahrheit – falls das möglich war – noch mehr geschmerzt.
    Aber eine offene Frage lag ihm wirklich schwer auf dem Magen: Wenn Maurizio Merli unschuldig war, warum hatte er

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