Kein Schlaf für Commissario Luciani
gerissen.«
»Wieso? Hat er Einfluss?«
»Hier in Rapallo ganz bestimmt. Und wenn ich mir so die Anrufe anschaue, die vor allem aus Rom eingehen, dann hat er noch mehr als gedacht.« Es sollte schnippisch klingen, doch man sah, dass ihr mulmig war.
»Es ist ein Ermittlungsverfahren, keine Verhaftung.«
»Och bitte, Sie wissen genau, dass ein Ermittlungsverfahren so viel bedeutet wie eine Schuldzuweisung. Versuchen |58| wir erst einmal, die DNA und alles andere im Guten von ihm zu bekommen. Wenn er nichts zu verbergen hat, wird ihm das auch lieber sein.«
Giampieri schüttelte den Kopf: »Er ist Anwalt. Das wird nicht einfach werden.«
»Ich habe nicht gesagt, dass es einfach wird. Das bedeutet, dass ich mit ihm sprechen werde.«
Dann listete Monica Serra reihenweise Überprüfungen und Vernehmungen auf, die noch gemacht werden sollten. Alles Dinge, die Giampieri und Venuti schon vorgesehen hatten. Sie hörten geduldig zu und verabschiedeten sich schließlich mit einem Gefühl der Erleichterung.
Als sie bereits auf den Flur hinaustreten wollten, rief die Staatsanwältin sie zurück: »Denken Sie dran: Ich will, dass jeder Schritt abgestimmt wird. Und wenn Sie jemanden auf die Dienststelle bringen, rufen Sie mich an. Ich will bei den Verhören dabei sein.«
Die beiden Polizisten sahen sich an und verzogen das Gesicht.
»Sie haben mich verstanden. Gehen Sie jetzt. Nächster Rapport um neunzehn Uhr. Und diesmal pünktlich.«
Der Tag verging wie im Flug, allerdings ziemlich fruchtlos, auf Vorstöße folgten Kurskorrekturen, es gab Umschweife und Fehlalarme. Giampieri und Venuti erinnerten an zwei Tauben auf der Piazza San Marco, das Überangebot an Brosamen verleitete sie dazu, kreuz und quer herumzupicken, in der Hoffnung, den besten zu finden.
Sie vernahmen noch einmal ausführlich Giulio Mantero, der offensichtlich den Schlaf des Gerechten geschlafen hatte und mit seiner üblichen Eiseskälte alle Fallstricke mied. Um drei Uhr nachmittags lud Venuti ihn ins Auto und fuhr mit ihm zum Landhaus der Manteros, rund dreißig Kilometer hinter Genua, wo er eine flächendeckende |59| Durchsuchung vornehmen ließ. Was er zu finden hoffte, wusste er selbst nicht, weder der Anwalt noch die Mutter konnten am Vortag eine solche Strecke zurückgelegt haben, um etwas zu verstecken. Es war eine Aktion, die eher den Anwalt einschüchtern und der ständig auf der Lauer liegenden Presse signalisierten sollte: Seht her, wir machen gehörig Dampf! In einem Schrank fanden die Beamten eine Bergsteigerausrüstung, mit Seilen und Gurtzeug sowie Bergstiefeln. Als Venuti den Anwalt fragte, wo der Pickel sei, antwortete Mantero, er könne sich nicht erinnern, er habe ihn wahrscheinlich irgendeinem Kameraden vom Verein »Quattromila« in Rapallo geliehen, mit dem er seine Bergtouren unternahm.
In der Zwischenzeit übernahm Giampieri die unangenehme Aufgabe, noch einmal die Eltern des Mädchens aufzusuchen, die immer noch in der Klinik waren. Er wollte sich Terminkalender, Tagebücher, Notizen aushändigen lassen, alles, was irgendetwas über Barbara Ameris Privatleben verriet. Die Mutter versprach, sie würde, sobald sie nach Hause käme, im Zimmer des Mädchens nach Notizen suchen. Der Onkel war wie verwandelt, er entschuldigte sich sogar dafür, dass er die Beherrschung verloren hatte, und händigte Giampieri Barbaras Handtasche aus, die die Sanitäter mit ins Krankenhaus gebracht hatten.
Der Kommissar kippte den Inhalt auf einen Tisch. Von potentiellem Interesse waren allein eine Brieftasche und ein kleiner Terminkalender. Letzteren öffnete er sofort, aber für den Tag des Mordes war keine Verabredung eingetragen, auch für die Tage unmittelbar davor und danach nicht. Es war nicht der Kalender für die beruflichen Termine (diesen bewahrte das Mädchen logischerweise im Büro auf, jedoch hatte er keine nützlichen Hinweise ergeben), sondern ihr privater. Eine ganze Woche passte auf |60| zwei nebeneinanderliegende Seiten, in die Barbara im Durchschnitt vier oder fünf Eintragungen machte. Giampieri fing an, diese akribisch zu durchleuchten, weil er auf den großen Treffer hoffte. Er merkte bald, dass der einzige regelmäßige Termin das Fitnessstudio war: dienstags und freitags in der Mittagspause. Hin und wieder fanden sich auch Namen, zum Aperitif oder, seltener, zum Mittagessen. »Tiziana« tauchte am häufigsten auf, dann »Michela«, diese beiden Freundinnen hatten sie schon kontaktiert; manchmal stand da auch
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