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Kein Schlaf für Commissario Luciani

Kein Schlaf für Commissario Luciani

Titel: Kein Schlaf für Commissario Luciani Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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mit seinem Latein am Ende.
    Giampieri blieb stehen und betrachtete den Dom von San Lorenzo. Er ging oft daran vorbei, ohne mehr als einen zerstreuten Blick darauf zu werfen. Die ersten Touristengruppen waren bereits zur klassischen Besichtigungstour in den Kirchenraum getreten: die Gemälde, der Schatz und das, was die Einbildungskraft am allermeisten erregte: die Bombe, die 1941 von einem Schiff abgefeuert wurde, das Kirchendach durchschlug und, dank des Eingreifens der Heiligen Jungfrau, nicht explodierte. Er beobachtete zwei Kinder, die sich auf dem Rücken eines Marmorlöwen fotografieren ließen, hob den Blick zum Kirchturm und spürte erneut das Stechen in der Halswirbelsäule, das ihm seit einiger Zeit zusetzte.
    »Guck nicht so viel, sonst brichst du dir den Hals.«
    Marco Luciani hatte sich lautlos von hinten genähert. Giampieri drehte sich um und konnte seine Überraschung nicht verbergen: Luciani hatte einen Sieben-Tage-Bart, tiefe Augenringe und Wangen, die noch hohler waren als gewöhnlich.
    »Ciao Marco,« sagte er und umarmte ihn, vor allem um den Blick abzuwenden und sich wieder zu fangen. »Lässt du dir einen Bart stehen?«
    »Jo. Findest du, er macht mich dicker?«
    Giampieri fixierte ihn wieder. »Und wie!«
    »Ist nur ein Experiment. Solange ich niemanden finde, dem er gefällt, lasse ich ihn stehen.«
    Der Ingenieur massierte sich den Nacken.
    »Das Genick tut weh, oder? Du darfst nicht die Domfassade anschauen, die hat ein Chiropraktiker auf Kundenfang entworfen.«
    |191| Der Ingenieur lächelte.
    »Glaubst du das nicht? Schau mal: Es gibt keinen Spielraum, um sie anzuschauen. Das ist die einzige Kirche Italiens ohne einen echten Vorplatz. Du kannst sie nicht einmal in der Totalen fotografieren, was allerdings ein großer Vorteil ist.«
    »Komm, jetzt sag nicht, sie gefällt dir nicht.«
    »Klar doch. Ich liebe den geschmacklosen Patchworkstil. Romanischer Ansatz mit schwarzweißen Streifen, gotische Portale, einen niedrigen Turm, dem man eine Loggia aus dem fünfzehnten Jahrhundert angekleistert hat …«
    »Du lässt an nichts ein gutes Haar. Wie immer.«
    »Außer an der Bombe. An der schon. Wenn sie explodiert wäre, gäbe es mich jetzt nicht.«
    »Wieso? Was hat die mit dir zu tun? Die ist doch im Krieg gefallen, oder?«
    »Ja. Aber nicht auf die Kirche, wie die Propagandaabteilung der Kirchenwunder berichtet. Sie landete genau in der Wohnung meiner Großeltern. Und meiner Mutter, die damals noch ein Kind war.«
    »Komm, das kaufe ich dir nicht ab, du bist doch aus Mailand.«
    »Ich schon, die Familie meines Vaters ist aus der Lombardei. Aber die Großeltern mütterlicherseits waren Genueser, sie wohnten damals an der Piazza Matteotti, in einer Wohnung der Kurie.«
    »Das heißt?«
    »Die Bombe ist in ihr Schlafzimmer gekracht, sie hatten sich nicht in die Keller geflüchtet, saßen aber zum Glück in der Küche, die Bombe ist nicht explodiert, war nur ein wenig ramponiert. Die Kurie hat eine andere, unversehrte, besorgt, hat sie der Öffentlichkeit vorgeführt und die Mär vom Wunder daraus gestrickt.«
    Giampieri schaute ihn ungläubig an. Manchmal, wenn |192| Luciani gut gelaunt war, erfand er solche abstrusen Geschichten, als wollte er einen Lebensstil kompensieren, der ganz im Zeichen von Gesetz und Wahrheitsliebe stand.
    »Komm, vergiss es«, grinste der andere, »um deine Lücken in Geschichte und Kunstgeschichte auszugleichen, bräuchte man Jahre. Besser wir trinken jetzt unseren Espresso.«
    »Ich esse ein paar von diesen hübschen Cannoli«, sagte Nicola mit Blick auf das Schaufenster. »Isst du nichts?«
    »Du weißt, wie ich darüber denke: Ein Drittel von dem, was wir essen, sichert unser Überleben, die anderen zwei Drittel das Überleben der Ärzte.«
    Sie setzten sich ins Freie und plauderten eine Weile ganz entspannt, dann fragte Luciani nach den Kollegen, nach Iannece und Calabrò. Giampieri tat, als wüsste er nicht, dass sie alle zu Luciani gepilgert waren.
    »Sie lassen dich alle grüßen. Sie reden dauernd von dir. Es vergeht kein Tag, an dem sie mir nicht zu verstehen geben, wie gut es ihnen unter dir ging. Und wie schlecht unter mir.«
    »Ja, das kann ich mir vorstellen.«
    »Ich meine es ernst. Du hattest diesen Ruf des Griesgrams, aber mittlerweile wussten wir dich zu nehmen. Ich dagegen … Ich weiß nicht, ich bin dauernd gereizt, ich trete ihnen auf die Zehen, kann ihnen aber keine Energie vermitteln.«
    »Nun, gewisse Spannungen sind normal. Wenn ich an die

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