Kein Schlaf für Commissario Luciani
maghrebinischen Dealern an die Wände zu pissen. Die Familienväter führten ihren Kampf gegen die Prostitution und versuchten die Albanerinnen dazu zu bringen, dass sie sich gratis bumsen ließen, geschiedene Frauen um die fünfzig sorgten dafür, dass die senegalesischen Straßenhändler auch fern der Heimat ein bisschen Zärtlichkeit und Nestwärme fanden. Die Altstadt Genuas, das Weltkulturerbe des Abschaums, dachte er und wünschte die Unesco im Stillen zum Teufel.
Einen Gedanken widmete er auch Giampieri, der sich nach einer harten Arbeitswoche sicher einen schönen Abend mit seiner neuesten Eroberung gönnte, schön für ihn. Dann vergrub er sich wieder in die Lektüre, schlug immer wieder Details nach, Zeitangaben, Aussagen. Langsam verblasste die Außenwelt, gemeinsam mit ihrer Geräuschkulisse. Der Kommissar blieb allein mit einem getöteten Mädchen und einem Mörder auf der Flucht. An die |187| Sofakissen gelehnt, schloss er die Augen, ein Lächeln auf den Lippen und auf dem Bauch eine Akte, und genoss drei Stunden eines Schlafes, wie er unbeschwerter in der letzten Zeit nie gewesen war. Als um Viertel vor sechs der LKW mit den Zeitungen kam, fand er ihn noch in genau derselben Stellung auf dem Sofa.
|188| Sonntag
Giampieri & Luciani
Er war gerade aus der Dusche gekommen und frühstückte den Rest der Focaccia zu einer Tasse Tee, als das Telefon klingelte.
»Ciao Nicola.«
»Woher wusstest du, dass ich es bin?«
»Wer sonst könnte mich um diese Uhrzeit anrufen?« Oder zu sonst einer Uhrzeit, dachte er. Außerdem fehlte, nach Iannece, Calabrò und dem Polizeichef, nur noch er.
»Alles okay?«
»Alles okay. Du kannst dir aber die Höflichkeitsfloskeln sparen.«
»Ich wollte nur wissen, wie es dir geht. Ich habe nichts mehr von dir gehört und es auch nicht geschafft, dich anzurufen.«
»Alles bestens. Und bei dir? Amüsierst du dich?«
»Klar doch. Hör mal, du hast heute Morgen nicht zufällig ein bisschen Zeit, oder? Ich wollte dich ein paar Dinge fragen.«
»Was ist los?«
»Das kann ich am Telefon nicht sagen. Wenn du zu Hause bist, komme ich vorbei und erkläre dir alles.«
Marco Luciani schaute sich um. In der Zeit ihrer Zusammenarbeit war Nicola nie bei ihm gewesen, und dies war sicher nicht der geeignete Moment, ihm die Wohnung zu präsentieren. Wenn sein Stellvertreter seinen Fuß in dieses kleine triste Loch setzte, wo die Wände den Geruch der Einsamkeit ausschwitzten und ein Stück Klebeband einen tropfenden Wasserhahn abdichtete, dann wäre der |189| letzte Rest des guten Rufes, den der Kommissar in Polizeikreisen noch genoss, für immer dahin.
»Ehrlich gesagt wollte ich gerade los. Treffen wir uns im Zentrum. Vor San Lorenzo, ist das in Ordnung?«
»Sehr gut. Ich lade dich zum Frühstück ein, ich weiß, dass dort eine neue Bar eröffnet hat.«
»Danke, ich habe mein Standardfrühstück schon intus. Cappuccino, Brioche, Brot, Butter und Marmelade, Schinken mit Speck, Wurst und Orangensaft.«
Giampieri kicherte. »Das denke ich mir. Passt dir in einer halben Stunde?«
Der Ingenieur kam ein bisschen zu früh, seine Ängste hielten ihn auf Trab, und so hetzte er immerzu, weil er sich vielleicht instinktiv der Illusion hingab, damit schneller zur Lösung des Problems zu kommen. Aber an jenem Morgen, nachdem er es endlich auf acht Stunden Tiefschlaf gebracht hatte, war die Angst praktisch verschwunden, war einem vorsichtigen Optimismus gewichen, der mit dem Sonderagenten zusammenhing, der in Manteros Tasche arbeitete und der früher oder später Hilfe bringen würde. Auch die Schuldgefühle, Marco nach dessen Rücktritt nicht mehr angerufen zu haben, hatten sich gelegt: Wenn stimmte, was ihm zu Ohren gekommen war, dann musste sich eher der Kommissar schuldig fühlen. Auf jeden Fall mussten die Dinge geklärt werden. Die Ermittlungen waren schon kompliziert genug, ohne dass er sich auch noch darum sorgen musste, was Luciani trieb. Wenn dieser zurückkommen wollte, bitte, nur hereinspaziert. Er wollte mal sehen, wie er sich aus der Affäre zog, er, der sich immer seiner Erfahrung brüstete und ihm ständig sagte, dass ein Polizist unter fünfunddreißig Jahren nichts taugte, als könnten die paar Jahre Altersunterschied den Ausschlag geben. Es stimmte, Luciani verfügte über viel Intuition und einen gewissen Spürsinn, |190| aber das waren Begabungen, die mit Erfahrung nichts zu tun hatten. Und wenn Computer oder neue Ermittlungsmethoden ins Spiel kamen, dann war er schnell
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