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Kein Schlaf für Commissario Luciani

Kein Schlaf für Commissario Luciani

Titel: Kein Schlaf für Commissario Luciani Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Freizügigkeit der jungen Generation gemacht hatte, war sicher eine andere. Er wollte keine Parallelen zu seinen verschiedenen Lebensphasen oder seinem aktuellen Dasein ziehen, sondern sich auf die Fakten konzentrieren: Gab der Umstand, dass Barbara Jungfrau war, den Ermittlungen eine bestimmte Richtung? Ohne Zweifel fiel damit die Hypothese vom verschmähten Liebhaber weg, oder vom verheirateten Mann, der einer kompromittierenden Beziehung ein Ende setzen wollte. Aber Leidenschaft war deswegen trotzdem als Motiv nicht völlig auszuschließen.
    Er erinnerte sich, in einem Artikel von einem »Freund« gelesen zu haben, der am Ende alles dementiert und die Beziehung zu Barbara als rein platonisch bezeichnet hatte. Wer weiß, ob es auch in seinem Sinne war, dass sie platonisch geblieben war, oder ob ihm mehr nicht gestattet wurde. Reine Freundschaft zwischen Mann und Frau, vor allem in diesem Alter, daran hatte Luciani nie recht geglaubt.
    Er versuchte, seine Phantasie im Zaum zu halten und wandte sich der Lektüre der Vernehmungsprotokolle zu. Normalerweise war das für ihn der langweiligste Teil, aber in diesem Fall, wo er die Hauptfiguren weder gesehen noch gehört hatte, war es interessanter als gewöhnlich. Um genau zu sein, hatte er einige der Hauptfiguren in der Zeitung oder im Fernsehen, bei dem Fackelzug, gesehen, und er konnte eine jeweils mehr oder weniger klare Verbindung herstellen zwischen dem blassen, undurchdringlichen Gesicht des Anwalts Mantero und dessen Worten, zwischen den Worten seiner Mutter und den theatralischen Tränen oder einer skeptischen Miene, als ob sie schon Schlimmeres |185| erlebt hätte, zwischen den Worten der Familie Turone und den Beklemmungen und Nöten von jemandem, der sein Leben der Krankheit eines Kindes gewidmet hat.
    Er nahm wieder Papier und Stift zur Hand, um sich die Alibis der möglichen Verdächtigen zu notieren: Kein objektives Alibi für Anwalt Mantero und Mutter, es war unmöglich, ihre Zeitangaben zu verifizieren, und entlastet wurden sie jeweils nur durch den anderen; zwei akzeptable Alibis, aber nicht bombensicher. Turones: Der Vater um neun in der Autowerkstatt, der Sohn, ebenfalls um neun, auf der Piazza. Ein einigermaßen sicheres Alibi für Giacomo Carrisi, der um 10.15 Uhr in Voghera im Büro gewesen war. Giampieri hatte sich auch über den Onkel mütterlicherseits informiert: Um zehn war er definitiv zu Hause gewesen, denn da rief ihn die Schwester an, vorher wollte er im Garten gearbeitet haben.
    Anschließend las er die Aussagen der Zeugen und der Bekannten, die Barbara einhellig als ruhiges, schüchternes Mädchen beschrieben: »Sie kam schon lange her, aber sie hatte mit niemandem engeren Kontakt«, hatte der Besitzer des Fitnessstudios zu Protokoll gegeben. »Guten Tag und guten Abend, höchstens mal die Trainerin bat sie um Hilfe. Sie nahm an keinem der Gruppenkurse teil, sie trainierte alleine auf dem Laufband und stemmte allein Gewichte, aber leichte.«
    Er unterstrich einige Sätze Pater Marianos, des Priesters, mit dem Barbara jeden Freitagabend den Prostituierten »ein bisschen heißen Tee und Trost« brachte. »Sie war immer optimistisch und heiter und gab uns allen viel Kraft. Viele beginnen mit dem Engagement am Nächsten, geben es dann aber wieder auf. Barbara hat in diesen zwei Jahren nicht ein Mal gefehlt.« – »Nein, es scheint mir nicht, dass sie mit einem dieser Mädchen im Besonderen Freundschaft geschlossen hätte. Das ist nicht leicht. Sie leben in einer |186| fremden Welt, und sie haben zu viel Angst. Es sind nur wenige, die wir retten können.« – »Ich war nicht ihr Beichtvater, aber wir sprachen natürlich über alles Mögliche. Ich sage es noch einmal, sie war ein optimistisches, couragiertes Mädchen, auch wenn ich manchmal spürte, dass über ihrer Seele ein Schatten lag, ich will nicht sagen, ein Geheimnis, aber vielleicht eine Sorge.« – »Ich kann es nicht besser erklären, etwas nicht Aufgearbeitetes, das nur sie oder ihre Familie betraf.«
    Luciani las weiter bis zum Abend und merkte nicht einmal, dass es dunkel wurde. Gegen halb elf legte er eine Pause ein und aß eine kleine Pellkartoffel mit ein bisschen Stracchino, dann wechselte er auf das Sofa und stellte die Stereoanlage an, um den Lärm von der Straße zu übertönen. Die Movida begann, das Wunder der Multi-Kulti-Gesellschaft wurde wahr, die Jugendlichen aus der feinen Genueser Gesellschaft gingen auf die Gasse, um Seit an Seit mit betrunkenen Latinos und

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