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Kein Schlaf für Commissario Luciani

Kein Schlaf für Commissario Luciani

Titel: Kein Schlaf für Commissario Luciani Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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jemanden in Genua kennen. Da ich keine Lust habe, meinen Cousin in die Sache reinzuziehen, gehe ich zu meinem Paten und frage um Rat. Ich muss ihm schwören, dass ich keinem etwas sage, und er erklärt mir das Geheimnis vom heiligen Judas.«
    »Der heilige Judas?«
    »Genau. Das erzähle ich dir jetzt, aber auch du musst schwören, dass du es keinem verrätst.«
    »Keiner Menschenseele. Der heilige Judas ist der, der Jesus verraten hat?«
    |251| Der andere schaute Luciani an, als wäre er bescheuert.
    »Klar doch, meinst du, dass sie den zum Heiligen erklärt haben? Der andere Judas, es gab doch zwei davon unter den Aposteln. Judas Iskariot war der Schuft, und der andere … weißt du noch, wie er hieß?«
    »Judas … Taddäus?«
    »Genau der. Das arme Schwein ist ein vollgültiger Heiliger, aber vielleicht liegt es an dem anderen, dass keiner zu ihm betet. Die Leute trauen ihm offensichtlich nicht. Wenn einer um einen Gnadenbeweis bittet, dann betet er, statt zum heiligen Judas, zur heiligen Katharina von Siena oder dem heiligen Anton von Padua, oder, in meinem Fall, San Gennaro natürlich«, er küsste reflexartig das Goldmedaillon, das er um den Hals trug, »deshalb hat der heilige Judas nichts zu tun, er hat keine Anhänger, man nennt ihn den Heiligen der aussichtslosen Fälle, weil sich die Leute erst dann an ihn wenden, wenn alles zu spät ist. So sitzt er also den ganzen Tag da oben im Himmel auf seiner Wolke und dreht Däumchen, ist ja logisch.«
    »Das heißt?«
    »Das heißt er wollte auch einmal das befriedigende Gefühl haben, etwas geleistet zu haben, und so verlegte er sich mit der Zeit auf Wünsche, mit denen die Leute sich, wie soll ich sagen, zu den anderen Heiligen gar nicht trauen würden. Wünsche halt, die … nicht so christlich sind.«
    »Erklär das genauer.«
    »Ganz einfach, Commissario: Wenn ich von einer bösen Krankheit genesen will, dann zünde ich der heiligen Rita eine Kerze an. Wenn ich aber will, dass jemand von einer bösen Krankheit nicht geheilt wird, oder dass er sie bekommt, dann stifte ich die Kerze dem heiligen Judas. Capito?«
    Marco Luciani leerte das Glas und grinste.
    |252| »Ein Heiliger, der die Leute umlegt? Du machst Witze!«
    Die Miene des Neapolitaners war todernst.
    »Nein, Commissario, und mach bloß du damit keine Witze.«
    »Aber hast du das denn schon einmal ausprobiert?«
    Der andere wandte den Blick ab.
    »Mit dem Sizilianer?«
    Der andere schwieg.
    »Und …?«
    Pasquale seufzte, dann redete er hastig: »Ich zündete zwanzig Kerzen vor der Statue des heiligen Judas an, und einen Monat später war ich in der neuen Wohnung. Dem Ärmsten war ein Unglück widerfahren. Auf See.«
    Der Kommissar schüttelte den Kopf. »Ein Zufall.«
    Der andere schüttelte noch heftiger den Kopf und erblasste ein wenig.
    »Jetzt sag nicht, du … hast noch öfter zu ihm gebetet.«
    Pasquale erhob sich. »Es ist spät geworden, Commissario. Ich muss noch Milch kaufen.«
     
    Er war kaum in der Wohnung, als das Telefon klingelte und der Anrufbeantworter beim zweiten Läuten ansprang, ein Zeichen, dass schon andere Anrufe gespeichert waren. Wer auch immer es war, er legte auf, ohne eine Nachricht zu hinterlassen, aber Marco Luciani stand inzwischen vor dem Telefon und betrachtete wie hypnotisiert das rote Blinklicht. Er war eine ganze Weile unterwegs gewesen, und ihm kam jedes Aufleuchten wie ein stummer Schrei vor, der ihn seit Stunden verfolgte, immer schwächer und immer verzweifelter werdend.
    Er drückte auf die Taste »Abhören« und vernahm, von dem Gerät verzerrt, die angsterfüllte Stimme seiner Mutter: »Marco, ich bin’s. Bist du zu Hause? Übers Handy kann ich dich nicht erreichen (Scheiße, hab vergessen, es |253| einzuschalten, dachte der Kommissar). Hör zu, erschrick nicht, aber du musst sofort kommen. Papa hatte eine Krise, man hat ihn ins San-Martino-Spital gebracht. Wir sind dort, komm so schnell wie möglich nach.« Sie machte eine Pause, in der man das Rauschen des Anrufbeantworters hörte. »Bitte!«
    Marco Luciani blieb eine Weile stehen und betrachtete das Band, das sich jetzt wieder aufspulte, nachdem es so lange unter Spannung gestanden hatte. Ja, wie lange wohl? Er wusste nicht, wann seine Mutter angerufen hatte, in der Zwischenzeit konnte alles Mögliche passiert sein, es konnte zu spät sein für einen letzten Gruß an seinen Vater, sicher war es zu spät für seine Mutter; sie würde das Gefühl haben, man habe sie in der schwersten Stunde ihres Lebens

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