Kein Schlaf für Commissario Luciani
her, wurde immer unruhiger, fühlte sich immer weniger geeignet, eine solch verzwickte Geschichte zu entwirren. Vielleicht sollte ich Giampieri anrufen, dachte er.
|277| Mittwoch
Giampieri
Sie kamen im Morgengrauen, mit einem Durchsuchungsbefehl, der die Unterschrift der Staatsanwältin Monica Serra trug. Emanuela Merli öffnete die Tür, ein Auge noch halb, das andere ganz geschlossen. Sie trug nur einen Slip und ein weißes Unterhemd, und als sie die Polizisten sah, bedeckte sie instinktiv ihren Körper. Giampieri versuchte wegzuschauen, während sie schnell in ihre Jeans schlüpfte, aber er konnte nicht verhindern, dass er ihre top Figur wahrnahm: ein wenig maskulin, aber straff. Da kam eine atemberaubende Blondine aus dem Schlafzimmer, in Slip und bauchfreiem Top, sie wollte wissen, was los sei. Die Hausherrin sagte, sie solle sich anziehen, und warf dem Vizekommissar, der die Augen aufgerissen hatte, einen vernichtenden Blick zu. Die Beamten hatten sich schon auf die verschiedenen Räume verteilt und ignorierten die Proteste der Merli, während Venuti sie abzulenken versuchte, indem er immer wieder fragte: »Wo ist dein Bruder? Wo hast du ihn versteckt? Weißt du, was Mord bedeutet? Weißt du, was es heißt, bei einem Mord Beihilfe zu leisten?«
Sie stellten alles auf den Kopf, während die Frau ihnen hinterherrannte und die Sachen wieder in die Schubladen stopfte. Sie drohte, sie werde sie anzeigen, versuchte Anwalt Mantero über dessen Handy zu erreichen, doch das war abgestellt. Sie schrie, tobte, blaffte Giampieri Beleidigungen ins Gesicht. Aber schließlich ließ sich die Merli – während sich ihre Freundin unter den lüsternen Blicken der Polizisten mit hängendem Kopf trollte – in einen Sessel fallen und schlug den trotzigsten Ton an, dessen sie fähig war: »Zieht |278| hier ruhig eure Scheißnummer ab, wir haben eh nichts zu verbergen. Mein Bruder ist schlichtweg für ein paar Tage verreist.«
»Wann ist er losgefahren?«
»Gestern früh.«
»Weißt du, wo er hin ist? Und wann er zurückkommt?«
Sie wollte schon antworten, dann überlegte sie es sich anders: »Den müsst ihr schon selber suchen.«
»Herr Ingenieur, schauen Sie mal, was wir hier gefunden haben.« In der Abstellkammer war eine komplette Bergsteigerausrüstung, Pickel inbegriffen.
»Gehört das Ihrem Bruder?«
»Nein, das ist alles meins«, sagte sie. »Und versucht bloß nicht, das Zeug zu beschlagnahmen, das brauche ich.«
Dort habe ich dich also gesehen, erinnerte sich Giampieri. Sie war die dumme Schnalle aus dem Bergsteigerverein, die Mantero bei dem Fackelzug verteidigt hatte. Zwei Stunden später händigte der Vizekommissar die ganze Ausrüstung dem kriminaltechnischen Labor aus, außerdem zwei Küchenmesser, zwei Schraubenzieher und einen Fleischklopfer, die er mitgenommen hatte, um ein bisschen Wind zu machen. Bei der Durchsuchung hatten sie auch Maurizio Merlis Handy gefunden. Er hatte es zu Hause gelassen, weil es, laut seiner Schwester, nicht zum Auslandsroaming taugte. Oder vielleicht weil er wusste, dass er es besser nicht bei sich tragen sollte.
Anfangs wollte man die Sache so lange wie möglich vor der Presse geheim halten, um dem Flüchtling keinen Vorteil zu verschaffen. Aber dann waren Giampieri und die Serra sich in einem einig geworden: Wenn die Schwester nicht kollaborierte und Merli kein elektronisches Gerät bei sich trug, das man orten konnte, wenn er außerdem weder Kredit- noch EC-Karte benutzte, dann würde es |279| verflixt schwer werden, ihn aufzustöbern. Er hatte nur einen Tag Vorsprung, aber im Sattel seiner Maschine konnte er schon weit gekommen sein. Also beraumte die Staatsanwältin eine Pressekonferenz an, um genau die entgegengesetzte Strategie zu fahren. Sie wollte das größtmögliche Medienecho für die Operation, um doch nur ein Ziel zu erreichen: den Flüchtigen zu stellen.
»Was können Sie uns zu dem Verdächtigen sagen? Stimmt es, dass er vorbestraft ist?«
Monica Serra gab den Reportern genügend Zeit, sie mit Mikrophonen und Fernsehkameras zu umstellen. »Ja, er ist bereits aktenkundig«, sagte sie fast widerwillig. Sie hatte das enganliegende weiße Kleid angezogen, das ihren wohlgeformten Körper und ihre Bräune besonders zur Geltung brachte, außerdem die hochhackigen Sandalen, die sie noch schlanker wirken ließen.
»Können Sie das etwas genauer sagen? Welche Vorstrafen sind das? Stimmt es, dass er wegen Vergewaltigung verurteilt wurde?«
»Kein
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