Kein Schlaf für Commissario Luciani
Wichtige, meine ich: Den Besitz, den Papierkram, die Vermögensverwaltung, all die praktischen Dinge.«
»Aber an alles andere hast du gedacht, zum Beispiel an mich. Bin ich weniger wichtig als der Besitz?«
Die Mutter lächelte und streichelte seine Wange. »Was für ein Unsinn.«
|271| »Du wirst bestens zurechtkommen, Mama.«
»Sag mir, dass du mir helfen wirst.«
»Natürlich. Wenn du mich rufst, werde ich immer kommen. Ich werde auf der Stelle da sein.«
Die Mutter schlug die Augen zu ihm auf. »Hör mal … du könntest nicht vielleicht heute Nacht hierbleiben? Falls du etwas zu erledigen hast, dann geh jetzt ruhig, aber wenn du zum Schlafen zurückkommen würdest … Wenn wir morgen eine Pflegerin finden, dann brauche ich dich nicht mehr.«
Marco Luciani wusste nicht, ob sie Angst vor ihrem Mann oder vor dessen Geist hatte, aber es war klar, dass sie nicht allein bleiben wollte. Er sollte diesem Haus, in das der Tod Einzug hielt, noch ein wenig Leben einhauchen. Aber ja doch, dachte er, der Fall Ameri wird noch ein paar Tage warten können.
»Die Geschichte mit dem Mädchen, kümmerst du dich jetzt eigentlich darum?« Der Vater war im Bett, drei Kissen in seinem Rücken hielten ihn halb aufgerichtet. Er schien bei klarem Bewusstsein, die Schmerzen überraschend schwach, die Medikamente, die in seinen Stoffwechsel geträufelt wurden, schlugen gut an.
Marco Luciani nickte. »Im Moment kümmere ich mich um dich. Aber ich habe angefangen, ein wenig über die Sache nachzudenken.«
»Um mich musst du dich nicht sorgen, pass lieber auf, worauf du dich da einlässt.«
»Inwiefern?«
Der Große Cäsar hustete einige Sekunden, spuckte ein wenig gelben Speichel aus und winkte Luciani dann zu sich heran.
»Donna Patrizia hat ein großes Herz, sie ließ sich durch den Hilferuf einer anderen Mutter rühren. Meiner Meinung |272| nach solltest du die Sache besser vergessen, sie ist nicht so einfach, wie es aussieht.«
»Was heißt das? Weißt du etwas darüber?«
»Über den Mord nicht. Aber ich weiß genau, wer Oddone Mantero war. Und wer sein Sohn ist.«
»Dann sag es mir, wer ist er …«
»Du kennst doch all diese Sammelaktionen … nennen wir sie mal wohltätig … die sich inzwischen überall in den Medien tummeln, in Zeitungen und Fernsehen. Schickt per Handy eine SMS! Spendet einen Euro für ein Kind in Afrika! … Diesen ganzen Firlefanz.«
Es kündigte sich ein zynischer und rassistischer Vortrag an. Der Kommissar machte es sich bequem.
»Nun, wir sehen, wie die Sache anfängt: Wir hören die Appelle, die Sänger, die Politiker, die uns sagen, sie haben soundso viele Milliarden gesammelt, und die schicken sie jetzt da und da hin, wo Krieg herrscht oder Trockenheit oder eine Überschwemmung. Manchmal sehen wir auch, wie die Operation endet: LKW, die Medikamente, Kleidung und Lebensmittel in den Flüchtlingscamps abladen, die Hungernden, die sich auf die Lieferungen stürzen. Und vielleicht hören wir auch, dass ein Teil bei der örtlichen Mafia gelandet ist, gestohlen wurde …«
»… oder dass die UN-Soldaten bei vierzehnjährigen Mädchen das Dosenfleisch gegen Sex eintauschen.«
»Genau. Aber das sind nur die letzten Brosamen, der Kuchen ist schon viel früher verschwunden.«
»Wo?«
»Unterwegs. Ich gebe dir mal ein Beispiel. Du kennst doch ›Der alte Mann und das Meer‹. Er zieht, nach langem Kampf, den Marlin aus dem Wasser, bindet ihn an sein Boot und kehrt voller Stolz nach Hause zurück. Er meint, er habe sein Teil geleistet, er weiß nicht, dass das Schwierigste noch auf ihn zukommt: die Haie. Die Haie, die anfangen, |273| seinen Marlin abzunagen, Stück für Stück. Und was bringt der Alte schließlich seinen hungrigen Enkeln mit?«
Marco Luciani antwortete nicht.
»Das Geschäft beginnt, wenn du das Material gesammelt hast. Deinen schönen Marlin zu fünfzig Millionen Euro. Wie bringst du den in den Kosovo, nach Afrika, nach Asien oder wo zum Geier gerade Not am Mann ist? Und wer bringt ihn da hin? Da entstehen Kosten: Benzin, Material, Personal; Gefahren lauern: Jäger, Guerilla-Kämpfer, Minen. Also bittest du die Haie um Hilfe, sie kümmern sich um alles, sie bringen dich hin und eskortieren dich im Tausch gegen ein Stück von dem Marlin.«
»Und Oddone Mantero war so ein Hai?«
»Groß, fett und fies. Er hatte die richtigen Kontakte bei der UNO, bei den NGOs und vor allem im Vatikan. Er wusste, wo er Schiffe und Container herbekam und fungierte als Mittler zwischen
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