Kein Schlaf für Commissario Luciani
italienischen Politikern, den kirchlichen Wohltätigkeitsorganisationen und den ausländischen Regierungen, die humanitäre Hilfe brauchten. Seine Spezialität waren Kriegsgebiete und Flüchtlingscamps, er hatte überall Zutritt und war viel auf Reisen.«
»Hast du ihn kennengelernt?«
»Sicher. In den Jahren, als du nur ›hier!‹ schreien musstest, und schon winkte irgendwo ein Schmiergeld. Wundervolle Jahre, als es Reichtum für jedermann gab.«
Marco Luciani wollte auf die Provokation nicht eingehen. Er setzte nur eine kleine Spitze: »Und der gute Mantero war mit einem Sohn gesegnet, der in seine Fußstapfen trat.«
Der Große Cäsar lächelte. »Der Sohn ist weniger geschickt. Du kennst das, herausragende Männer haben selten Söhne vom selben Format. Aber er kennt das System, er schafft es mehr oder weniger, die Kanäle aufrechtzuerhalten; nach Afrika und in den Mittleren Osten, da ist das Geschäft inzwischen fast ein Selbstläufer.«
|274| Er hatte lange geredet. Er hustete so lange und heftig, dass Luciani erschrak. Als der Anfall dann vorbei war, schaffte er es, ein bisschen Wasser zu trinken und sich zu beruhigen.
»Okay, Papa. Ich habe das Konzept begriffen. Du brauchst dich nicht weiter anzustrengen. Es gibt immer Schlaumeier, die sich am Unglück armer Schweine bereichern, das ist moralisch verwerflich, aber sicher alles vollkommen legal.«
Der Vater lächelte bitter, dann redete er weiter, wenn auch langsamer und leiser.
»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Weißt du, in diesen Containern ist … Ein schöner Stempel vom Vatikan erspart einem so manche Kontrolle.«
»Was sagst du? Sie lassen auch Drogen oder Ähnliches passieren?«
»Warum nicht? Würde dich das überraschen? Drogen sind besser als Bargeld, du kannst sie leicht gegen jede Ware eintauschen. Waffen inbegriffen. Mach nicht so ein Gesicht, wir denken immer an die Leute, die Waffen an Guerillakämpfer oder Terroristen liefern, aber den Katholiken, wer gibt denen Waffen? Wie werden die Waffen verschoben, die gegen Moslems oder Kommunisten eingesetzt werden sollen? Und wie erkauft man die Unversehrtheit der Missionare in Afrika?«
»Das glaube ich dir nicht.«
»Ich behaupte nicht, dass alle Bescheid wissen. Ich bin sicher, dass viele in gutem Glauben handeln. Aber wenn jemand diese Kanäle für seine Geschäfte nutzen will … Kontrolliert einmal Manteros Konten, wenn sie das zulassen.«
»Sich an Hilfslieferungen zu bereichern ist eine Sache, Drogen und Waffen zu verschieben eine ganze andere.«
»Warum? Moralisch betrachtet gibt es keinen Unterschied zwischen Waren: Lebensmittel, Waffen, Drogen, illegale |275| Einwanderer. Das ist immer nur eine wirtschaftliche Frage.«
»Illegale Einwanderer sind keine Ware, es sind menschliche Wesen.«
»Sicher. Mit der größten Gewinnspanne.«
Marco Luciani stand gereizt auf. »Gab es für Mantero keine Regeln? Keine Grenzen?«
»Gottes Barmherzigkeit kennt keine Grenzen, mein Sohn. Zumindest nicht die des katholischen Gottes. Folglich gibt es keine Grenzen für die Sünden, die man in seinem Namen begehen darf, mit der Gewissheit, dass man Vergebung finden wird.«
»Und was ist mit der Hölle?«
»Ich habe schon eine ganze Weile nichts mehr von ihr gehört. Und ich versichere dir, dass ich zurzeit sehr interessiert bin an dem Thema, schließlich habe ich reichlich gesündigt und nie etwas bereut.«
»Das bedeutet?«
»Das bedeutet, dass Mantero mächtige Mentoren in der katholischen Kirche hat. Und nicht nur dort. Auch in Militär-Container sollte man besser nicht die Nase stecken. Leg dich bloß nicht mit denen an. Dann geh schon lieber nach Sizilien, zur Antimafia, da erntest du wenigstens noch Ruhm, wenn du stirbst. Hier wärst du nur einer von den vielen Polizisten und Staatsanwälten, die in irgendeine obskure sardische Provinz versetzt werden oder unter unschönen Begleitumständen ›Selbstmord‹ begehen.«
»Ich bin kein Polizist mehr.«
»Und ob du einer bist. Und du bist der beste.«
Nachdem der Vater wieder eingeschlafen war, dachte der Kommissar lange über dessen Worte nach. Was genau wusste der Große Cäsar? Und hatte er selbst irgendwann mit Mantero Geschäfte gemacht? Was wusste Giampieri von diesen Schiffen, die mit ihrer wertvollen Ladung durch die |276| Weltgeschichte schipperten? Wie weit wollte und konnte er sich vorwagen, ausgehend vom Tod einer kleinen Sekretärin im Büro einer Provinzstadt. Luciani irrte stundenlang zwischen Garten und Haus hin und
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