Kein Sterbenswort - Kein Sterbenswort - Tell No One
Hypothese war sehr viel logischer als eine Rückkehr von den Toten.
Dem standen jedoch zwei Dinge entgegen, die einen Großteil des eben Gesagten widerlegten. Erstens bin ich nicht der Typ, der sich in seine Fantasie flüchtet. Ich bin ein erschreckend langweiliger Mensch und stehe fester mit beiden Beinen auf der Erde als die meisten anderen. Zweitens: Die Sehnsucht mag zwar mein Denkvermögen getrübt haben, und mit digitalen Bildern konnte man eine Menge machen.
Aber nicht diese Augen …
Ihre Augen. Elizabeths Augen. Es war ausgeschlossen, dachte ich, dass das alte Bilder waren, die in ein digitales Video eingebaut worden waren. Es waren die Augen meiner Frau. War ich als rational denkender Mensch mir da sicher? Nein, natürlich nicht. Ich bin kein Narr. Aber nach dem, was ich gesehen, und den Fragen, die ich aufgeworfen hatte, hatte ich Shaunas Video-Vorführung als mehr oder weniger unbedeutend abgetan. Ich war in dem Glauben nach Hause gekommen, dass ich eine Nachricht von Elizabeth bekommen würde. Und jetzt wusste ich nicht weiter. Der Alkohol tat wohl sein Übriges.
Chloe blieb stehen, um irgendetwas ausführlich zu beschnüffeln. Ich wartete unter einer Straßenlaterne und betrachtete meinen in die Länge gezogenen Schatten.
Kusszeit .
Chloe bellte, als sich in einem Busch etwas bewegte. Ein Eichhörnchen rannte über die Straße. Chloe knurrte und tat so, als wolle sie es jagen. Das Eichhörnchen drehte sich um und sah uns an. Chloe gab ein Junge-hast-du-ein-Glück-dass-ich-an-der-Leinebin-Kläffen von sich. Sie meinte es nicht so. Chloe war ein reinrassiger Feigling.
Kusszeit .
Ich legte den Kopf auf die Seite, wie Chloe es macht, wenn sie ein eigenartiges Geräusch hört.
Noch einmal dachte ich über das nach, was ich gestern auf meinem Bildschirm gesehen hatte - und überlegte, was der Absender alles angestellt hatte, um das Ganze geheim zu halten. Die anonyme E-Mail, in der mir aufgetragen wurde, den Link zur Kusszeit anzuklicken. Die zweite E-Mail, in der stand, dass ein Konto in meinem Namen eingerichtet würde.
Sie beobachten dich …
Irgendjemand versuchte mit allen Mitteln, diese Kontakte geheim zu halten.
Kusszeit.
Wenn jemand - okay, wenn Elizabeth mir bloß eine Nachricht zukommen lassen wollte, warum hatte sie mich nicht einfach angerufen oder eine E-Mail geschrieben? Wozu dann diese ganzen Verrenkungen?
Die Antwort lag auf der Hand: Geheimhaltung. Jemand - ich sage jetzt nicht wieder Elizabeth - wollte das alles geheim halten.
Und wenn du ein Geheimnis hast, folgt daraus natürlich, dass du es vor jemandem geheim halten willst. Und vielleicht beschattet dieser Jemand dich, oder er sucht dich, oder er ist auf andere Weise darauf aus, dich zu finden. Oder du leidest einfach unter Verfolgungswahn. Normalerweise würde ich auf Verfolgungswahn tippen, aber...
Sie beobachten dich …
Was bedeutete das genau? Wer beobachtet mich? Das FBI? Doch wenn das FBI selbst hinter den E-Mails steckte, warum sollte es mich warnen? Das FBI wollte, dass ich etwas tat.
Kusszeit …
Ich erstarrte. Mit einer ruckartigen Bewegung sah Chloe mich an.
Herrgott noch mal, wie konnte ich nur so blöd sein?
Sie hatten das Klebeband gar nicht gebraucht.
Rebecca Schayes lag auf dem Tisch und winselte wie ein sterbender Hund am Straßenrand. Manchmal stammelte sie etwas, manchmal auch zwei oder drei Wörter hintereinander, die jedoch keinen zusammenhängenden Satz oder Satzteil bildeten. Weinen konnte sie nicht mehr. Sie hatte längst aufgehört, sie anzuflehen. Ihre Augen waren immer noch weit aufgerissen und starrten fassungslos ins Unendliche; sie sahen nichts mehr. Ihr Verstand hatte sich vor einer Viertelstunde während eines markerschütternden Schreis verabschiedet.
Erstaunlicherweise hatte Wu keine Verletzungsspuren hinterlassen. Rebecca sah allerdings zwanzig Jahre älter aus.
Rebecca Schayes hatte nichts gewusst. Dr. Beck war wegen eines alten Autounfalls zu ihr gekommen, der in Wirklichkeit gar kein Autounfall gewesen war. Es gab auch Fotos von den Verletzungen. Beck war davon ausgegangen, dass sie diese Fotos gemacht hatte. Das hatte sie nicht.
Das Kribbeln in Larry Gandles Bauch - das angefangen hatte, als er zum ersten Mal von den am See gefundenen Leichen gehört hatte - wurde immer stärker. An jenem Abend war irgendetwas schief gegangen, so viel stand fest. Aber langsam fürchtete Larry Gandle, dass alles schief gegangen sein könnte.
Es war Zeit, die Wahrheit herauszukitzeln.
Er
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