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Kein Wort mehr ueber Liebe

Kein Wort mehr ueber Liebe

Titel: Kein Wort mehr ueber Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herve Le Tellier
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Notizen. Sie verdankte sich in weitaus stärkerem Maße dem Stolz, den er darüber empfand, der Mann zu sein, dem Louise Blum es erlaubte, sich auf der Straße bei ihr unterzuhaken.
    – Ich will nun zum Kern des Themas vorstoßen …, fuhr Romain fort.
    Als er, mit der geziemenden Überziehung, eine Stunde und zehn Minuten später schweigt, um dem Publikum das Wort zu überlassen, hat ein Mann aus der letzten Reihe des Hörsaals Linné nicht ein einziges Wort mitgeschrieben. Und als die Debatte beginnt, stellt der Mann auch keine Frage, selbst wenn er, wie jeder Psychoanalytiker, in diesem Vortrag über die kognitiven Wissenschaften gerne das Wort »Unbewusstes« gehört hätte.
    Und doch hat Thomas Le Gall Romain Vidal nicht einenMoment aus den Augen gelassen, diesen Mann, der jeden Morgen an der Seite von Louise Blum aufwacht, der Frau, in die er sich immer mehr verliebt, mit der er gerade zum ersten Mal geschlafen hat. Romain Vidal ist nicht sein Rivale, denn niemand hat je einen Rivalen. Thomas wollte sich nicht mit der Erscheinung des Ehegatten auseinandersetzen, er wollte den Mann sehen, den Louise Blum geliebt hat, den sie noch liebt, und vielleicht auch seine eigenen Gefühle auf die Probe stellen. Thomas spürt, wie ein Gefühl der Sympathie für diesen großen Jungen in ihm aufkeimt, dessen diskrete Schüchternheit er erahnt, dessen logisches und geschmeidiges Denken er bewundert – und dessen Freund er zu seinem Bedauern niemals wird sein können.

ANNA UND STAN
    Der Sommer war dermaßen heiß gewesen. Anna und Stan hatten ihn in der Nähe von Grignan verbracht, in einem Haus, das sie jedes Jahr mieteten. Die Hundstage hatten alle Statistiken gesprengt. Zweimal mehr Brände, Morde, Autounfälle, doppelt so viel tote Senioren in den Altenheimen. In sechzig Departements herrschte Trockenheit. Es war untersagt, die Schwimmbecken zu füllen, und die bereits gefüllten Becken hatten der Feuerwehr als Wasserspeicher zu dienen. Im Radio, in den Kneipen war von der Klimaerwärmung die Rede. Als Karl und Léa sich ins Auto gesetzt hatten, brüllten sie laut auf, so glühend heiß waren die Sitze. Anna fuhr mit einem feuchten Schwamm über die Plastikbezüge, um sie abzukühlen. Die Kinder verlangten nach der Klimaanlage, ließen die Fenster aber trotzdem geöffnet.
    Langeweile. Morgens erstellte man Einkaufslisten, fuhr in die Stadt, um die Einkäufe zu tätigen, trank einen Kaffee auf dem Marktplatz, dann stieg die Quecksilbersäule, und man kehrte nach Hause zurück. Man aß zu Mittag, räumte ab und spülte das Geschirr, bevor die Ameisen ihre Invasion starteten. Es war zu heiß für eine Siesta. Karl und Léa zankten sich in einem fort, um die Zeit totzuschlagen.
    Es gab Wespen. Stan hatte aus einer durchgeschnittenen Evian-Flasche und sehr süßem Wein eine Falle gebaut. Sehr rasch waren sie gekommen, um darin zu Dutzenden zu sterben. Anna ertrug es nicht zu sehen, wie ihre Kinder sich dabei amüsierten, ihnen bei ihrem endlos langen Strampeln, ihrem stundenlangen Todeskampf zuzuschauen. Insbesondere Karl, der sie jedes Mal vollkommen überdreht herbeirief, wenn ein neues Opfer durch den fatalen Flaschenhals schlüpfte. In diesem grausamen Vergnügen erkannte sie ihren Sohn nicht wieder. Er war es, der jeden Morgen mit einer morbiden Faszination diesen Insektensud hinten im Garten auskippte.
    Dann war da auch das Schwimmbecken. Vor fünf Uhr nachmittags, wenn die Sonne endlich hinter der Fassade des Landhauses verschwand, war es nicht benutzbar. Die Kinder verfolgten die sehr langsame Vorwärtsbewegung der Schattenlinie auf den glühend heißen Steinplatten wie die Marschkolonnen eines Ameisenvolkes. Jede Minute brüllten sie los:
    – Mama, Mama, schon wieder eine Platte im Schatten!
    – Super!, antwortete Anna vom Wohnzimmersofa aus.
    Abends, wenn die Kinder im Bett lagen, blieben Stan und Anna noch auf der Terrasse, um von einer kühlen Brise zu profitieren, die nicht aufkam. Stan fuhr mit der Hand über den Nacken seiner Frau, sie wich dieser Zärtlichkeit aus. Es war dermaßen heiß; entweder las sie gerade oder sie hatte keine Lust. Eines Nachts hatte Stan sie genommen. Sie hatte es, trotz der schweißfeuchten Wärme ihrer Körper, geschehen lassen, es war ihr sogar gekommen; gleich darauf war sie wieder eingeschlafen.
    Ende August hatte man die Koffer gepackt, man war nach Paris zurückgefahren. Weil die Kinder Hunger hatten und Stan eine Pause machen wollte, hatte man auf dem Rückweg in einer

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