Kein Wort mehr ueber Liebe
dieser Autobahnraststätten angehalten, die quer über die sechs Fahrspuren gebaut sind. Es war schlecht, schlecht und teuer. Anna war gereizt, entnervt. »Das ist widerlich, absolut widerlich«, hatte sie fast schon geschrien, und Léa hatte, wie in einem Godard-Film, gefragt: »Was ist das, widerlich?« Anna war aus dem Restaurant gelaufen, hatte die Kinder mit Stan sitzen lassen, war bis zum Wagen gegangen. Sie hatte die hintere Tür geöffnet, sich zwischen die Spielsachen gesetzt, das Gesicht in ihren Händen verborgen und ganz langsam angefangen zu schluchzen.
LOUISE UND ALAIN
In ebendiesem Sommer war es in Oslo ein bisschen weniger heiß. Romain hatte Louise den Vorschlag gemacht, ihn zu einem internationalen Kolloquium nach Norwegen zu begleiten: Eine reiche Stiftung versammelte drei Tage lang die besten Sprachgenetiker.
– Alles, was in der Genetik Rang und Namen hat, wird da sein, hatte Romain Louise zugeflüstert.
Er war so stolz, von nun an dazuzugehören.
Man hatte sie im Radisson Plaza, einem luxuriösen Hotel in der Nähe des Zentrums untergebracht, und ein Begrüßungsempfang wartete auf sie. Die Organisatoren zweifelten daran, dass das Kolloquium die Ehepartner interessieren könnte: Sie verteilten Stadtpläne von Oslo, einen Überblick über die Stadtgeschichte und einen Museumsführer.
Romain hatte ihr den »Nobelpreisträger« Mister John Vermont vorgestellt und gab vor, vergessen zu haben, dass sie ihn schon kannte. Dann Daniel Reynolds, »der nächste Nobelpreis«, Janet Bilger, Tomomi Tsukuda, »der übernächste Nobelpreis«.
– Du bist die Schönste, hatte Romain Louise zugeflüstert.
Sie war seiner Meinung.
Als sie zu Tisch gingen, hatte Romain einem entzückten John Vermont angeboten, neben ihr Platz zu nehmen. Ganz seiner Gewohnheit entsprechend gab sich der Nobelpreisträger blasiert, langweilig, dazu sein ewiger, fürchterlicher Mundgeruch, und Louise hatte, diplomatisch die Reisemüdigkeit vorschiebend, den Tisch vor dem Dessert verlassen. Romain hatte einen Augenblick lang ihre Hand gedrückt und hinzugefügt, dass er später nachkomme, und sein Gespräch mit Reynolds fortgesetzt. Sie war ohne Bedauern gegangen. Romain spielte den übereifrigen kleinen Jungen, und sie hasste es, die Wertschätzung, die sie ihm entgegenbrachte, zu verlieren. Die Szene erinnerte sie an einen Abend, an dem sie sich gestritten hatten, nachdem sie ihn enttäuscht dabei beobachtet hatte, wie er sich, einem verzückten kleinen Kind gleich, an einen leidlich bekannten Kinostar heranzumachen versucht hatte.
Nun hatte sie sich umgezogen und den Aufzug zum überdachten Schwimmbad auf der Dachterrasse des Hotels genommen. Durch die großen Glasfenster schaute man auf die Lichter von Oslo herab. Der einzige Schwimmer kraulte an einer Längsseite des Beckens entlang eine Bahn nach der anderen. Auch als Louise kopfüber eingetaucht war, schwamm er einfach weiter. Nach einigen Zügen hatte sie das Wasser ein wenig kühl gefunden. Beim ersten Kälteschauer hatte sie das Becken verlassen und sich in einen Liegestuhl gelegt, um den Oslo-Führer zu lesen. Der Rhythmus des Schwimmers war langsam und regelmäßig. An jedem Ende des Beckens stieß er laut die Luft aus, wendete unter Wasser und begann eine neue Bahn. Zehn Minuten später stieg er die Leiter hoch. Sein Schädel war kahl rasiert, wie bei den jungen Glatzköpfen;er war wohl schon älter als vierzig. Sein Körper war stark behaart, massiv, weniger athletisch als der Schwimmstil hätte vermuten lassen, und er war auch kurzsichtig, denn er hatte suchend nach seiner Brille getastet. Er hatte erstaunt gewirkt, als er Louise sah, hatte ihr zugelächelt und ein paar Worte auf Norwegisch gesagt: Ihr extrem blondes Haar war hierzulande nichts Seltenes. Sie verstand nicht, er wiederholte auf Englisch.
– Holidays?
Louise lächelte ob des deutlichen französischen Akzents.
– Nur für drei Tage. Sie auch?
– Verstehe … Ich sollte mein Englisch verbessern. Nein, ich arbeite für Norsk Hydro.
Louise hatte den Kopf geschüttelt, er hatte hinzugefügt:
– Erdöl, Aluminium, Magnesium. Ich bin fürs Aluminium zuständig. Ich heiße Alain. Oder Al. Wie Aluminium.
– Louise. Wie Louise. Louise Blum.
Sie hatte ihm die Hand gereicht. Alain war kein Franzose, sondern Belgier. Ingenieur. Er überwachte die Einrichtung eines neuen Montagebands im Süden von Oslo. Er hatte noch ein paar Bemerkungen fallen lassen, was sie sich unbedingt ansehen solle, das
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