Kein Wort zu Papa - Heldt, D: Kein Wort zu Papa
angestellt war, die Frühstückstische eingedeckt und alle Arbeitsplatten in
der Küche abgewischt worden waren, hatten wir das Licht gelöscht und waren zu dritt ins »de Vries« gegangen. Ich hatte das
Gefühl, nach Hause zu kommen. Erst im vergangenen Sommer hatten wir diese Bar renoviert. Dorotheas Wandbilder leuchteten uns
entgegen, ich betrachtete die Lampen,die Onno und Kalli installiert hatten, sah die Fußleisten, die ich mit Marleen lackiert hatte, musste plötzlich an meinen
Vater denken, der in einem bunten Hemd pfeifend auf einer Leiter gestanden und winzig kleine Löcher mit unglaublich viel Spachtelmasse
gestopft hatte. Ich bekam sentimentale Gefühle. Es war ein toller Sommer gewesen, der Sommer, in dem ich mich in Johann verliebt
hatte. Und jetzt war so wenig von diesem Gefühl übrig.
»Schöne Frau, warum hast du so traurige Augen?«
Die etwas schrille Stimme von Pierre holte mich aus meinen Gedanken. Der war im letzten Jahr noch nicht hier gewesen. Obwohl
er gut dazu gepasst hätte.
»Du, die sind nur müde«, hatte ich geantwortet und mich neben Ines auf einen Barhocker geschwungen. Meine Schwester und Gesa
bestellten Bier, ich konnte mich nicht entscheiden, deshalb bekam ich auch eines. Während ich mit einem Ohr dem Gespräch folgte,
sah ich mich nebenbei in der Bar um und beobachtete immer wieder Pierre, der gut gelaunt, lässig, aber sehr effektiv ständig
mehrere Dinge auf einmal machte. Seine Hände waren nie ohne Bewegung, sein Mund auch nicht. Er redete unablässig.
Unter Normalbedingungen, was so viel bedeutete wie: Wenn Marleen da war, kam Pierre mittags zum Essen in Marleens Küche und
erzählte ihr alle Neuigkeiten, jeden Klatsch und Tratsch, den er gehört hatte. Er nannte es »Informations abgleich «. »Wisst ihr, auf so einer Insel muss man einfach von jedem alles wissen, sonst erlebt man sein blaues Wunder. Und wenn man
geschickt fragt, und das kann ich, glaubt mir, erzählen einem die Leute ihr ganzes Leben. Das ist so aufregend, was man da
so alles hört.«
Bedauerlicherweise hatte er den Informationsabgleich noch nicht mit mir gemacht, sonst wäre mir die Schlappe mit Eleonore
Stehler und ihrem Ziehsohn nicht passiert.
Es war wirklich ein blöder Beginn.
Pierre hieß in Wirklichkeit Peter und kam aus Winsen an der Luhe. Nach dem Abitur hatte er Musik studiert, nebenbei in einer
Hamburger Bar gejobbt und irgendwann den Studentenjob zur Haupteinnahmequelle gemacht. Als er sich vor vier Jahren in einen
Physiotherapeuten verliebte, der auf Norderney in einer Klinik arbeitete, zog er kurzerhand auf die Insel.
»Ich hab mal hier und mal da gejobbt, aber das war alles nicht das Wahre. Ja, und dann hat meine wunderbare Marleen diese
wunderbare Bar eröffnet. Ich habe hier am dritten Abend den schlechtesten Cocktail meines Lebens getrunken, bin sofort zu
ihr gegangen und habe gesagt: ›Schätzchen, ich bin dein Mann, stell mich ein, ich mach die beste Bar im Norden aus dieser
Trinkhalle.‹ Sie hat es sofort begriffen. Seitdem bin ich hier.«
Ines schob ihm ihr leeres Bierglas zu. »Und wieso nennst du dich ›Pierre‹?«
»Noch ein Bierchen?« Er zapfte schon, bevor sie antworten konnte. »Hase, du kannst doch nicht der Geschäftsführer so einer
eleganten Bar sein und ›Peter‹ heißen. Ich bitte dich. Nein, nein, Peter aus Winsen, um Himmels willen. Pierre aus Berlin,
das ist doch ein ganz anderes Kaliber.«
»Berlin?«
»Da lebt meine Oma. Sie ist die Einzige, die noch ›Peter‹ sagen darf. Neben meiner Mutter, die sagt aber meistens ›Spatzi‹.«
Ich starrte diesen schönen charmanten Mann an. Spatzi. Aus Winsen an der Luhe. Und er redete und redete und redete. Meine
Gedanken schweiften ab.
Gesa, Ines und ich hatten uns vorhin zusammengesetzt, um den Küchendienst zu planen. Es gab abends immer kaltes und warmes
Buffet. Ines schlug vor, nur ein warmes Gericht anzubieten, der Rest sollte aus Salaten, Wurst und Käse bestehen. Gesa war
skeptisch, den Gästen würde es vielleichtnicht reichen. Man bräuchte schon ein Fisch-, ein Fleisch- und ein vegetarisches Gericht. Ines dachte dasselbe wie ich, deshalb
beschloss ich einfach, dem Vorschlag meiner Schwester zu folgen. Ein Gericht musste reichen, Gesa hatte ja keine Ahnung, dass
uns das schon an die Grenzen bringen würde.
»Das wird nicht gut ankommen«, hatte Gesa gewarnt, »die Gäste haben ihre Zimmer mit Halbpension gebucht.«
Ines kürzte die Diskussion
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