Kein Wort zu Papa - Heldt, D: Kein Wort zu Papa
ab. »Wie viele Gäste haben wir denn?«
Gesa rechnete kurz mithilfe der Gästeliste nach und sagte: »Für die nächsten neun Tage noch achtzehn.«
Ich drückte unter dem Tisch die Hand meiner Schwester. Hoffentlich fiel uns da genug ein.
»Einen Euro für deine Gedanken.« Pierres Stimme unterbrach meine Essensplanung. »Hier, probier mal, ich habe dir einen kleinen
Cocktail gemixt, zur Entspannung. Du hast ja schon eine richtige Zornesfalte. Schätzchen, keep cool!«
Er schob mir ein kleines Glas mit einer roten Flüssigkeit zu.
»Prost, Schwesterherz, ich sag’s doch. Vielleicht hörst du mal auf andere.« Ines hob ihr Bierglas und grinste breit. »Pierre,
sie hat diese Falte schon seit Jahren. Sie ist so unentspannt, das ist ganz furchtbar. Wenn dieses Zeug hilft, kriegt sie
das von mir ab sofort jeden Abend.«
»Komm, Chrissi, du bist so eine schöne Frau – ohne die Falte. Was drückt dich denn? Ist es die Liebe? Willst du darüber reden?«
Ich probierte den Cocktail. Er war richtig gut, aber noch lange kein Grund, mich auszufragen. Ich sah in Pierres braune Augen,
er hatte lange Wimpern und wirklich ein sehr schönes Gesicht.
»Wenn du noch einmal ›Chrissi‹ sagst, lasse ich ein Schild mit ›Bei Peter‹ an die Tür tackern. Und wenn du noch einmal über
meine Falte redest, kommt da auch noch ›aus Winsen an der Luhe‹ dazu. Ist das klar?«
Er strahlte mich an. »Natürlich, Liebes. Das musst du mir nur sagen. Ich bin wahnsinnig diskret. Hast du sonst noch was auf
dem Herzen?«
»Ja.« Vielleicht hatten wir Glück. »Kannst du kochen?«
Er lachte sofort los, kriegte sich kaum noch ein. »Wie süß! Ich und kochen? Was glaubst du wohl, warum ich jeden Mittag zu
Marleen essen gehe? Weil ich die Müsliriegel nicht mehr sehen konnte. Ich kann aber backen. Philadelphiatorte. Da sind alle
immer ganz begeistert. Die mache ich mal für euch. Schön mit Mandarinchen. Ach, ich glaube, wir vier haben ganz viel Spaß
zusammen. Gesa, Ines, noch ein Bierchen?
Chriss-tine
, noch einen Gute-Laune-Drink?«
Ich seufzte leise. Spaß würden wir bestimmt haben. Aber leider nichts Vernünftiges zu essen.
Die Tür ging plötzlich auf und das Licht an.
»Warum sitzt du denn hier im Dunkeln?«
Ines trug einen blau karierten Schlafanzug und blieb an der Tür stehen.
»Ich kann nicht schlafen. Und was machst du?«
Sie ging gähnend zum Kühlschrank, nahm sich eine Flasche Wasser und knipste das Licht wieder aus.
»Rutsch mal zur Seite, da kann man doch auch zu zweit drauf sitzen.« Sie setzte die Flasche an den Mund und trank in langen
Zügen. »Ich hatte so einen Durst.«
»Das merkt man. Kannst du dir kein Glas nehmen?«
Ines behielt die Flasche in beiden Händen und sah mich nachdenklich an. Das vermutete ich jedenfalls, ich konnte ihr Gesicht
nicht erkennen.
»Christine, auch wenn du die Ältere bist, deine ewigen Kommentare gehen mir manchmal tierisch auf den Geist. Nein, ich will
kein Glas, weil ich diese Flasche ganz alleine austrinke und niemand dadurch zu Schaden kommt.«
»Okay, okay, tut mir leid.«
»Na bitte. Geht doch.«
Sie schwieg einen Moment lang. Dann trank sie wieder. Und schwieg. Bis sie die Frage stellte, auf die ich schon seit Wochen
gewartet hatte: »Kannst du mir eigentlich erklären, was genau dein Problem mit Johann ist?«
»Nein.«
»Was?«
»Nein, ich kann dir das nicht richtig erklären. Ich weiß es selbst nicht.«
Sie sagte nichts dazu, und ich versuchte, es in Worte zu fassen. »Alles war ganz toll am Anfang. Jetzt ist er in Schweden,
ich habe gar nicht mehr das Gefühl, dass wir überhaupt noch eine Beziehung haben. Mein Leben ist so langweilig, ich finde
meine Wohnung blöd, meinen Job auch und irgendwie kriege ich nichts richtig auf die Reihe.«
»Aber das liegt doch an dir.« Meine Schwester veränderte ihre Sitzhaltung, sodass ich sie jetzt im Profil sah. »Du kannst
dir doch eine neue Wohnung suchen, du kannst dir auch einen neuen Job suchen, du kannst mal wieder mehr unternehmen, damit
es nicht immer so langweilig ist, du kannst alles Mögliche tun. Stattdessen sitzt du nur rum und wartest ab, was Johann macht.«
»Das stimmt doch gar nicht.« Das Gespräch ging in eine Richtung, die mir überhaupt nicht behagte. »Und im Übrigen haben wir
für solche Psychositzungen gar keine Zeit. Wir müssen die Geschichte hier erst mal hinkriegen. Danach können wir uns vielleicht
über mein Liebesleben unterhalten.«
»Die
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