Kein Wort zu Papa - Heldt, D: Kein Wort zu Papa
wurde sie mit allen Dingen leichter fertig. Es lag wohl wirklich
daran, dass sie zu wenig und ich zu viel über alles nachdachte. Ines wog die Situationen nie ab, sie legte einfach los. Und
sie hatte die Gabe, überall noch etwas Schönes zu finden. Wir machten beide den Job in der Pension; aber sie ging vorher an
den Strand. Wir halfen beide in der Küche, obwohl wir keine Ahnung hatten, aber sie freute sich, dass es Räucherfisch gab.
Wir sortierten beide Wäsche, aber nur sie genoss den Duft. Das war der Unterschied zwischen uns, und ich merkte zum ersten
Mal, dass ich ihr manchmal gern ein bisschen ähnlicher wäre. Auch wenn sie mir oft mit ihrer Leichtigkeit auf die Nerven ging.
Vielleicht, weil ich dieses Talent nicht hatte. Das Los der Älteren: Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Sei vernünftig.
Die Klügere gibt nach. Das Vorbild. Schrecklich.
Der Weg zur »Weißen Düne« war mir heute zu weit, ich hatte ja auch nur noch eineinhalb Stunden Zeit. Trotzdem wollte ich noch
einen Kaffee trinken und eine fremde Speisekarte lesen, immer auf der Suche nach Ideen. Und in Erfüllungmeiner Pflichten. Ich schüttelte über mich selbst den Kopf. Um einer weiteren Selbstanalyse vorzubeugen – da waren ja auch
noch die Themen: Liebesbeziehungen, Mütter, Väter, Geld, übrigens alles Dinge, mit denen Ines wesentlich leichter umging –, beschloss ich, mir im »Surfcafé« einen Platz in der Sonne zu suchen.
Auf der Terrasse waren noch Plätze frei. Ich setzte mich mit dem Gesicht zum Meer und bestellte Kaffee und Pflaumenkuchen.
»Mit Sahne?« Die Bedienung hob kurz den Kopf und lächelte plötzlich. »Sind Sie nicht die Vertretung von Marleen de Vries?
Ich habe doch Ihr Bild in der Zeitung gesehen.«
»Ach, was heißt Vertretung? Ich helfe nur ein paar Tage aus. Gisbert von Meyer übertreibt ja immer ein bisschen.«
Sie steckte den Block in ihre Schürzentasche. »Aber er hat immer einen Riecher. Verraten Sie mir das Geheimnis? Oder soll
ich warten, bis es in der Zeitung steht?«
Ich nahm mir vor, Gisbert von Meyer in den nächsten Tagen umzubringen. Ich musste nur noch überlegen, wie.
»Es gibt wirklich keines. Und ich möchte Sahne.«
Sie nickte übertrieben und grinste. »Schon klar, dann lese ich eben. Also, einen Kaffee und einmal Pflaumenkuchen mit Sahne.«
Besser wäre, ich würde ihn sofort umbringen.
»Christine?« Sofort drehte ich mich in die Richtung, aus der der Ruf gekommen war. Ich hatte genau die richtige Stimmung.
»Hallo, Kalli. Was hat dich geritten, diesen schwachsinnigen Artikel von diesem Mistkäfer sofort an Heinz zu faxen?«
»Kann ich mich zu dir setzen?« Ohne zu antworten, nahm er mir gegenüber Platz. »Die haben hier ganz leckeren Pflaumenkuchen.
Du musst nur aufpassen, wegen der Wespen.«
»Habe ich bestellt. Was hat dich geritten?«
Er lächelte mich an. »Mit Sahne? Das schmeckt ja besser,aber ich habe zu hohe Cholesterinwerte. Ich muss mich leider zurückhalten.«
»Kalli!«
»Was denn? Wegen dem Artikel? Heinz ist doch bestimmt stolz, wenn seine Töchter mal in der Zeitung stehen. Habe ich mir so
gedacht.«
»Aber doch nicht, wenn es um solch einen Unsinn geht.«
»Ich habe es nur wegen der Fotos gemacht. Das war ja ein hübsches Bild von dir. Ich konnte nicht wissen, dass Charlotte sich
gleich Sorgen macht.«
»Meine Mutter ist schon auf dem Weg. Das hätte doch nicht sein müssen.«
»Du, wir haben sie lange nicht gesehen. Hanna freut sich, dass sie uns mal wieder besuchen kommt. Deine Mutter möchte sicherlich
auch mal raus.«
Der Kaffee und der Pflaumenkuchen kamen, Kalli nickte zufrieden und bestellte dasselbe für sich. Dann legte er seine Hand
auf meine.
»Du schreibst bestimmt eine ganz schöne Geschichte über die Pension, aber trotzdem müssen die Leute richtiges Essen bekommen.«
»Sie kriegen richtiges Essen, Kalli!« Ich wurde langsam schlecht gelaunt.
»Nudeln mit Sauce ist doch kein richtiges Abendessen.« Beschwichtigend beugte er sich zu mir. »Aber da musst du dir ja nun
auch keine Gedanken mehr machen. Charlotte und Hanna haben sich schon unterhalten. Lass mal die Damen kochen, dann kannst
du in Ruhe deine Geschichte schreiben, und deine Schwester macht einfach ein bisschen Ferien. Ihr braucht kein schlechtes
Gewissen zu haben, solange deine Mutter und Hanna das noch können, macht es ihnen auch Freude.«
Was hieß denn hier »noch können«? Meine Mutter konnte noch nie, und Hanna hatte ich auch
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