Kein Wort zu Papa - Heldt, D: Kein Wort zu Papa
Besucher von
Morden, Familiengeheimnissen, Erpressungen, Totschlag, Entführungen und was es sonst noch auf dem großen Markt des Lebens
gibt. Mit sonorer Stimme, die klugen Augen hinter der Lesebrille verborgen, fesselte er das Publikum mit Szenen, bei denen
man froh ist, sie nicht selbst erlebt zu haben. Blut, Gefängnis, Hass, Eifersucht, Lügen, Intrigen und Brutalität, nichts
ist Guntram Bernd in seiner jahrzehntelangen beruflichen Tätigkeit fremd geblieben. Nach der Veranstaltung signierte er geduldig.
Wie unsere Redaktion herausgefunden hat, wird Guntram Bernd seinen Aufenthalt um ein paar Tage verlängern. Es ist ihm zu wünschen,
dass es sich hierbei um ein rein privates Vergnügen handelt. Hat man aber dem Vortrag konzentriert gelauscht, muss man sich
fragen, ob so ein Mann tatsächlich einfach nur Ferien machen kann. Besonders bei Sätzen wie: »Ich werde nie aufhören, meine
Kräfte in die Aufdeckung von Geheimnissen zu stecken.« Oder »Jeder Mensch hat eine dunkle Seite, ob Freund, ob Freundin, egal
wie gut man meint, sie zu kennen. Manche Menschen finden diese dunklen Seiten aber heraus und können so Schlimmeres verhindern.«
Wir behalten die Inselgeheimnisse im Auge.
GvM
»Christine, nun hol doch mal richtig Luft, du fiepst so.« Mein Vater sah mich an, während er die Zeitung zusammenfaltete.
»Hast du dich wieder erkältet? Das klingt ja fürchterlich.«
»Hals.« Ich strengte mich an, wieder regelmäßig zu atmen. Ich hatte doch keine Paranoia.
Dass ein erfahrener Kommissar etwas von »Freundin, egal wie gut man meint, sie zu kennen« faselte, konnte wirklich kein Zufall
sein. Blieb nur die Frage, wer ihn beauftragt hatte. Für wen er hier schnüffelte. Ich musste nachher Ines und Gesa warnen,
sie wussten nichts von meinen verschiedenen Verdachtsmomenten, ich hatte sie vorhin nicht noch mehr verunsichern wollen. Aber
Guntram Bernd war keinesfalls zufällig hier. Die Lesung war vermutlich nur ein Vorwand.
»Christine?«
»Was?«
Gisbert hatte mich etwas gefragt, und alle beobachteten mich. Alle bis auf meine Mutter. Die rollte unentwegt Hackbällchen
und sah dabei aus dem Fenster.
»Ach, da kommt Pierre.« Sie klopfte an die Scheibe und gab ihm ein Zeichen. »Er kann doch hier auch etwas essen. Er ist ja
so nett.«
Gisbert warf ihr einen irritierten Blick zu, dann fragte er mich noch mal: »Wie du den Artikel fandest, wollte ich wissen.
Gerade unter dem Aspekt, dass du Kollegin bist.«
»Ein bisschen schwülstig vielleicht.« Ich stand wie beiläufig auf. »Papa, kennst du eigentlich Pierre schon? Unseren Barkeeper?«
Mein Vater schüttelte den Kopf, dann überlegte er kurz. »Du, wegen deinem Artikel, da wollte ich auch noch mal mit dir reden.
Du hast gar nicht gesagt, wie lange du Marleen hier vertrittst. Und du arbeitest jetzt ja in der Pension, wann kommst du denn
zum Schreiben?«
»Ach, das geht schon.« Ich war noch nie so erleichtert gewesen, Pierre zu sehen, der in diesem Moment die Küchebetrat. »Guck mal, Papa, das ist unser Lieblingsbarkeeper Pierre. Pierre, das ist mein Vater, Heinz.«
Gisbert von Meyer guckte mich immer noch beleidigt an. Er wartete die Begrüßung ab, dann stand er auf und rammte Pierre wie
aus Versehen den Helm in die Hüfte.
»Tut mir so leid, Peter.«
Pierre schaute mit mildem Lächeln auf ihn herab, Gisbert war mindestens einen Kopf kleiner.
»Macht doch nichts. Das passiert schon mal, wenn man immer so nervös ist.«
»Pah.« Der Starjournalist griff zu seiner Zeitung und stülpte den Helm auf. »Ich muss los, ich habe zu tun. Übrigens, Peter,
falls du meinen Artikel noch nicht gelesen hast: Ich bin mir ziemlich sicher, dass Guntram Bernd hier so manchem dunklen Geheimnis
auf die Spur kommt. Zieh dich warm an.«
Verständnislos hatte mein Vater den Schlagabtausch verfolgt. »Was meinst du damit, Gisbert? Und wieso ›Peter‹?«
Gisberts Stimme klang hohl, weil sie aus dem Helm kam. »Das erzähle ich mal in einer ruhigen Minute. Aber in dieser Pension
hat sich leider vieles verändert, seit du das letzte Mal hier warst. Du wirst dich noch wundern. Danke für den Kaffee. Wiedersehen.«
Alle schwiegen, bis auf dem Hof das Moped losknatterte. Dann wandte sich mein Vater mit ernstem Gesicht an mich.
»Christine, was meint er? Was ist denn eigentlich los?«
Selbst meine Mutter und Hanna hielten in ihrer Arbeit inne. Hilfesuchend sah ich Pierre an, der zwar keine Ahnung hatte, aber
schnell
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