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Keine Angst

Keine Angst

Titel: Keine Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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dem Krieg – und haben Kölsches Roulette gespielt, die ganze Nacht.«
    Der Sammler horchte auf. Kriegsgeschichten kannte er zur Genüge. Das hier war etwas Neues!
    »Kölsches Roulette?«
    »Aber ja! Das hat der –« Sie tat, als müsse sie nachdenken. In gewisser Hinsicht war sie leicht zu durchschauen. »– dieser Habermas erfunden, auch so einer, der nicht genug kriegen konnte.«
    »Nie von einem Habermas gehört. Weder von ihm noch vom kölschen Roulette.«
    »Mein lieber Junge!« Sie lachte nachsichtig und schüttelte den Kopf. »Da waren Sie ja auch noch gar nicht geboren.«
    Jetzt waren sie in ihrer Welt angelangt, auf ihrem Terrain. Mit einemal gewann sie an Würde. Selbst die Perücke schien ihren Sitz korrigiert und eine dunklere Färbung angenommen zu haben.
    »Lustig war das, ein lustiges Spiel. Ja, Ich weiß noch, eine Zeitlang haben alle an den Kränzen gedreht und wie verrückt Roulette gespielt, eine richtige Mode war das.«
    Der Sammler warf einen Blick über die Schulter in die Schwemme hinein, aber die Köbesse lehnten bei den Fässern und unterhielten sich. Ausgezeichnet! Man vergönnte ihnen noch ein wenig Zeit.
    »Erzählen Sie mir von dem Spiel«, verlangte er mit inquisitiver Neugier.
    »Habermas hat’s erfunden«, wiederholte sie.
    »Ja, sicher. Wer ist das?«
    »War das«, korrigierte sie ihn. »Sie müssen fragen, wer war das. Ich sagte ja, alles schon lange her.«
    Einen Moment lang schien sie unschlüssig, ob sie weitersprechen sollte. Ihre Fingernägel kratzten über die gescheuerte Platte. Ihr Blick tastete sich die leeren Tisch-reihen entlang, verweilte im Ungewissen und fand zu ihrem späten Zuhörer zurück, nunmehr voller Entschlossenheit.
    »Ich sag’s Ihnen, weil Sie ein vertraulicher Mensch sind. Und noch dazu einer, der mir die Speisekarte vorgelesen hat. Habermas ist gestorben. Er war einer von denen, die nach dem Krieg sehr schnell zu Geld gekommen sind. Selber nie dabeigewesen, wissen Sie? Die Sorte, der es nie richtig schlecht gegangen ist. Er hatte es zum Thema seiner Überlegungen gemacht, Menschen ihre Achtung abzukaufen, ein todsicherer Weg, um reich zu werden. So einer war er, und seine Frau das glatte Gegenteil, ein Engel. Karl und Yvonne Habermas, oh ja. Sind oft hiergewesen, und er war schon ein verdammter Säufer mit kolossalem Fassungsvermögen.«
    Wieder rückten ihre Augen leicht von ihm ab.
    »Er war ein verdammter Säufer mit kolossalem Fassungsvermögen. Wenn sie hier um Mitternacht schlossen, blieb Habermas einfach sitzen. Gehörte ihm ja auch das halbe Brauhaus, eine seiner wenigen wirklichen Leidenschaften, da er nicht müde würde, dies Kölsch als das beste zu preisen. Vertrat jemand einen anderen Standpunkt, konnte er fuchsteufelswild werden. Ringsum begannen sie die Stühle hochzustellen für die Nacht. Er hingegen machte sich breit mit seiner Clique, die ihn ständig begleitete, Verwandte, Freunde, Angestellte, die meisten wie Fliegen in den Augen eines Ochsen. Meist schon reichlich angetrunken, ließ Scheine über den Tisch flattern, deren Größe und Farbe hypnotische Kräfte zu eigen waren, und bestellte die erste Runde Roulette. Wir hatten das Glück oder wie immer Sie den Umstand unserer engeren Verbundenheit mit Habermas nennen wollen, daß wir seiner Spendierfreudigkeit anteilig wurden.«
    Dem Sammler entging nicht der spöttische Unterton in ihrer Stimme. »Sie haben mir immer noch nicht erzählt, was unter diesem Roulette zu verstehen ist«, sagte er.
    »Ach, das Roulette …«
    Sie krauste die Stirn. Der Sammler ließ sich nicht täuschen. Sie spielte Theater, machte es spannend. Ihm war schon nach den ersten Worten klargeworden, daß sie die Geschichte tausendmal erzählt hatte und jede Kleinigkeit ins Endlose dehnte, um sich möglichst lange ihrer Zuhörerschaft zu versichern. Sie mochte alles mögliche sein – zerstreut war sie nicht.
    »Ja«, nickte sie bekräftigend, »Kölsches Roulette. Keiner kennt das mehr. Wie auch? Wir haben’s aber gespielt. Oft und bis spät in die Nacht. Und immer war Yvonne dabei. Wissen Sie, er wollte, daß sie trank, weil er es tat. Yvonne Habermas, so eine schöne bleiche Frau, daß es schmerzte, sie mit diesem Menschen verbunden zu wissen. Durch einen Vertrag, weil er eben reich war und sie alles verloren hatte, was hätte sie denn machen sollen! Da saßen wir dann. Und auch Vernon war dabei, sein Geschäftspartner und bester Freund, wie es hieß. Claude Vernon. Ein Franzose, naja. Habermas hatte

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