Keine E-Mail fuer Dich
andere Extrem: Der »Datenschutzbesorgte« meldet sich natürlich mit einer neuen oder anonymen E-Mail-Adresse an, damit Facebook seine Daten nicht mit vorhandenen Profilen verknüpfen kann. Freundschaftsanfragen akzeptiert er nicht. Da er dadurch keine Meldungen von anderen Nutzern bekommt, bestätigt ihn der Anblick seiner leeren Pinnwand in der Auffassung, dass Facebook komplett überbewertet ist.
Es gibt eine Abwandlung dieses Nutzertyps, dieser füllt zwar alle persönlichen Angaben aus, allerdings mit Veränderungen bzw. falschen Angaben.
Der Nutzertyp »Kosmopolit« hingegen postet permanent seinen derzeitigen Aufenthaltsort. Er ist der am meisten gehasste Facebook-Freund. Statt literarischer Formulierungen, an denen minutenlang gefeilt wurde, postet er nur Ortsnamen , die »seinen Freunden« die ganze Langweile ihres Büroalltags vor Auge führt: »New York City«, »Bangkok«, »Bali«. Der Vielfliegermeilen-orientierte Kosmopolit postet auch gerne Flughafenkürzel. Vielfliegermeilen-Extremisten stellen natürlich ohnehin nur die zurückgelegte Kilometerzahl oder die gesammelten Meilenpunkte ein, was ein künstlerisches Profil ergibt. Bemitleidenswert und peinlich sind dagegen die sogenannten ICE -Poster, die am Fließband Meldungen wie »im ICE von Hannover nach Bielefeld« absetzen, worauf »10 Minuten Verspätung!« als Update folgt. Wahnsinnig spannend!!
Eine andere Gruppe ist der Typ »Zweitprofilanleger«, das sind meist Teenager, denen auch schon ihre eigene Mutter eine Freundschaftsanfrage geschickt hat. Um sich Diskussionen zu entziehen, wieso sie sich nicht mit der eigenen Mutter befreunden wollen, fahren Teenager gerne zweiprofilig. Auf dem einen posten sie »Hausaufgaben gerade erledigt, nun noch etwas Klavier üben«, worauf die begeisterte Verwandtschaft gleich den »Gefällt mir«-Button drückt – und sich darüber freut, wie medienkompetent die Kinder Facebook nutzen, da sie sonst kaum etwas erzählen. Auf dem anderen Profil werden dagegen die Freundinnen gefragt, wer doch gleich noch mal dieser Typ von gestern Nacht war, und Party-Fotos hochgeladen.
Der »Farmer-Mafiosi«-Nutzer kommt auf über 150 Statusmeldungen in der Stunde. Er ist meist Großstadtbewohner, der ganz im Landlust-Megatrend das Facebook-Bauernhof-Spiel Farmville entdeckt hat und nun stolz alle Zwischenstände automatisiert posten lässt. »20 Schweine gemästet« oder »Einsames Schaf gefunden«. Mitteilungen, so glaubt er, die auch bei »seinen Freunden« eine unglaubliche Begeisterung auslösen! Irritationen entstehen, wenn plötzlich eingeblendet wird: »Brauche Granatenwerfer«, nur weil er nun zum Spiel Mafia Wars gewechselt ist. Multi-Spielsüchtige kommen dabei auf interessante Geschäftsideen, zu denen sie gleich eine Facebook-Gruppe gründen, um sie zu erörtern. Eine heißt etwa: »Kann man bei Farmville Gras anbauen und bei Mafia Wars verkaufen?«
Eine relativ neue Nutzerspezies ist der Politiker: Meist hat ihn ein umtriebiger Mitarbeiter, der gerade noch ein Seminar zu Social-Media-Marketing besucht hat, bei Facebook angemeldet. Der Mitarbeiter druckt ihm auch regelmäßig die Kommentare aus. Wenn der Politiker dann bemerkt, dass die Meldungen, die sein Wahlkampfteam dort einstellt, nur ungefähr so viel Begeisterung auslösen wie bei den entsprechenden Erzählungen in der Dorfkneipe, beschließt er, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Der CSU -Politiker Horst Seehofer war zuletzt »mal richtig innovativ«, hat sich von der Piratenpartei inspirieren lassen und in München eine Facebook-Party veranstaltet. So geht man im modernen Medienzeitalter auf Wählerfang. Er inszenierte sich als moderner Netzpolitiker. Doch außer den Medien interessierte sich kaum jemand dafür. Anstatt Tausender Partygäste kamen nur 150 Journalisten. Das befürchtete Chaos blieb aus, Facebook-Anhänger waren nicht oder nur wenig interessiert. »Die CSU steht dafür, Tradition und Moderne zusammen zu denken.« Dazu gehört dann auch, sich mit den digitalen Medien auseinanderzusetzen. Aha!
Durch Facebook ist etwas anders geworden ist: Niemand grüßt oder verabschiedet sich mehr an diesem virtuellen Ort. Alle sind immer da. Aus Facebook gibt es, einmal drin, offenbar keinen Ausweg mehr. Wir sind unausweichlich in der digitalen Welt angekommen.
In den 1990er-Jahren war das Internet so etwas wie die längste Schaufensterfront der Erde. Webseiten waren statische Guckkästen wie ein Aquarium. Mit dem neuen Jahrtausend begann sich
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