Keine große Affäre
versuchte zu helfen, war aber nur
im Weg.
»Koch Kaffee«, sagte sie zu ihm. »Oh,
Lia. Hi, hör zu. Schlechte Nachrichten, mein Vater hatte einen Schlaganfall.
Pic hat gerade angerufen. Ich muß ins Krankenhaus... Ja... Er ist auf der
Intensivstation. Klingt schlimm... Es tut mir so leid.«
Am anderen Ende der Leitung sagte Lia:
»Mach dir keine Sorgen. Ich wollte dich sowieso gerade anrufen und absagen.
Anouska geht es gar nicht gut. Ich müßte verrückt sein, mit ihr zu verreisen.
Ich dachte, na ja, es wäre okay, wenn alles glatt ginge, aber was, wenn wir
eine Panne hätten, wie damals bei dir und Charlie, und wir hätten sie dabei,
mit Fieber? Das wäre der reinste Wahnsinn... Aber ich hatte mich so darauf
gefreut...«
»Natürlich«, sagte Ginger, die
wünschte, sie würde den Mund halten, und sich fragte, ob sie sie unter den
Umständen überhaupt bitten konnte, auf Guy aufzupassen.
»Soll ich Guy heute nehmen?« bot Lia
an, als könnte sie Gedanken lesen.
Sie ist ein Engel, dachte Ginger.
»Würdest du das tun? Es tut mir so leid, darum zu bitten, aber...«
»Nein, ich würde mich über die
Gesellschaft freuen. Aber ich kann ihn nicht abholen. Ich will nicht mit Annie
raus in die Kälte.«
»Nein, das ist schon okay«, sagte
Ginger, die absolut klar dachte. »Charlie ist hier. Er kann uns bringen.«
Charlie rief aus der Küche: »Wo
bewahrst du die Milch auf?«
»Scheiß auf die Milch. Bring ihn mir
schwarz und tu ein bißchen kaltes Wasser rein! Sorry, Lia, aber ich gerate
langsam in Panik.« Plötzlich brach sie in Tränen aus. »Pic klang so
verängstigt«, sagte sie zwischen Schluchzern.
»Nein, ist schon okay«, beruhigte Lia
sie. »Zieh Guy nur an. Ich habe alles hier. Ich geb ihm auch sein Frühstück.
Sei stark.«
»Okay. Tut mir leid.« Ginger legte
auf. Sie wußte nicht so recht, was sie tun sollte. In ihrer Panik hatte sie die
Reihenfolge vergessen. Guy anziehen, sich selbst anziehen, zu Lia fahren, dann
ins Krankenhaus. Sie atmete tief durch. Bald, hatte Pic gesagt. Bitte warte auf
mich, Daddy.
»Wir müssen stark sein«, sagte sie zu
Guy, umarmte seinen kleinen, kräftigen Körper fest und brachte sich selbst
wieder in die Realität zurück.
Es war ganz anders als in London. Sie
stiegen aus demselben Zug, in den sie nur vor ungefähr drei Stunden
eingestiegen waren, auf einem Bahnhof, auf dem es zweisprachige Schilder gab,
Kioske mit englischen Zeitungen und Geldautomaten, an denen man Geld von seinem
Konto in England abheben konnte, aber es herrschte eine ganz andere Atmosphäre.
Waterloo Station roch nach Regen und Metall, der Gare du Nord nach heißen,
getoasteten Sandwiches und Desinfektionsmittel. In London trugen die Männer
Anzüge und Sportjacken, in Paris marineblaue Mäntel oder beigefarbene
Regenmäntel, und sie sahen, na ja, französisch aus.
Während ihr Taxi über Plätze mit
holprigem Kopfsteinpflaster raste, vorbei an Art Déco-Metroschildern und an
Cafés, in denen es bei dem kalten Wind keiner riskierte, draußen zu sitzen,
entspannte er sich langsam. Jedes Mal, wenn sich die Tür ihres Zugabteils mit
einem Seufzer geöffnet hatte, war er zusammengezuckt, weil er mit jemandem
rechnete, den er kannte, und nicht mit einem Kellner, der auf einem Minitablett
das Frühstück brachte, wie bei einer Fluggesellschaft. Im Taxi, in dem es angenehm
nach französischem Tabak stank, war er sicher. Selbst wenn ihn zufällig jemand
erkennen sollte, fuhren sie so schnell, daß sich niemand absolut sicher sein
konnte.
Alison hatte ihn gefragt, ob er
Mittagessen gehen wollte oder zuerst ins Hotel, und er hatte gesagt ins Hotel.
Das Eurostar-Omlette lag ihm immer noch im Magen, und er wollte weit weg vom
Bahnhof, von jeder Verbindung zu England, in ein Zimmer mit Türschloß.
Das Hotel lag an einer engen Straße.
Davor war ein Hof mit einem Springbrunnen und steinernen Urnen, aus denen
Blumen quollen. Das Gebäude war alt, und von den langen Fensterläden blätterte
die Farbe ab. Alison meldete sie an der Rezeption an, auf Französisch, und
unterschrieb das Formular, als würde sie das ständig tun. Er nahm ihren Koffer
und seinen Seesack und wollte ihr zum Fahrstuhl folgen, doch ein Hotelboy
versperrte ihm den Weg.
»Monsieur?« Er zeigte auf das Gepäck.
»Nein, ist schon in Ordnung,
wirklich«, sagte Neil zu ihm, weil er nicht wollte, daß sie jemand begleitete,
und mit Schrecken den Augenblick kommen sah, wenn er stehenbleiben und auf sein
Trinkgeld warten würde. Er hatte
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